Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Die dunkle Seite des Mondes
Ich mag hier nicht von „Staatsfernsehen“ schreiben, weil es ja nicht so ist, daß der Staat eine Meinung in Auftrag gäbe. Der Journalist, die Journalistin berichten nach bestem Wissen und Gewissen, und daß die Apparate beides formen, ist eine andere Geschichte.
Die Tagesthemen vom Mittwoch, der Aufmacher ist immer noch G20. Der Filmbericht, des Hamburger Ersten Bürgermeisters Krängen betreffend, hat sich als Aufhänger einen Polizisten gesucht – vermutlich genauer: hat sich von der Pressestelle der Polizei einen Kollegen liefern lassen –, wie er im Polizeibilderbuch steht: groß und freundlich und mit warmer Stimme. Einer, dem wir ein Auto abkaufen würden. Er, hören wir, war „mittendrin“, war „tagelang immer dort eingesetzt, wo es krachte, er hat Angst gespürt, Gewalt erlebt: ,Diese Haßtiraden, die uns entgegengeschrien wurden von einzelnen oder auch von vielen auf diesen Demonstrationszügen. Wir haben gar nicht geschlafen. Wir haben mal geruht, an Schlaf war nicht zu denken an diesem Wochenende.’“ Einsätze wie seiner, so das Off, hätten „teilweise fünfzig Stunden ohne Schlaf“ bedeutet, „aber dann auch Bürger voller Dankbarkeit“; der nette Polizist: „Wir haben Beifall bekommen, haben Dankeszurufe bekommen, und einfach das Lächeln, das Klopfen auf die Schulter von Kollegen, das ist Balsam für die Seele und tut richtig gut.“
Die Polizei, hatten wir eingangs bereits von Caren Miosga gehört, sei am Rande ihrer Kräfte gewesen, und daß zum Streiten meistens zwei gehören, erfahren wir auch im Bericht bloß über Bande, als es um die Rota Flora geht und anrainende Geschäftsleute, die sich, trotz kaputter Fensterscheiben, mit der Flora solidarisiert haben: „In einem Brief prangern sie unverhältnismäßige Gewalt von beiden Seiten an.“ Mehr erfahren wir nicht von der unverhältnismäßigen Gewalt der anderen Seite, es hätte den Bericht mit dem netten Polizisten in der Mitten in formale Schwierigkeiten gebracht, vielleicht sogar Ärger mit der Pressestelle heraufbeschworen.
„Et audiatur altera pars. / Auch die andere Seite werde gehört.“ Rechtsgrundsatz
Der Brief, von dem die Rede ist (falls es nicht noch einen gibt), liegt dem Sonntagsfrühstück vor. In Auszügen: „Uns fällt es in Anbetracht der Wahllosigkeit der Zerstörung schwer, darin die Artikulation einer politischen Überzeugung zu erkennen, noch viel weniger die Idee einer neuen, besseren Welt. (…) Ja, wir haben direkt gesehen, wie Scheiben zerbarsten, Parkautomaten herausgerissen, Bankautomaten zerschlagen, Straßenschilder abgebrochen und das Pflaster aufgerissen wurde. / Wir haben aber auch gesehen, wie viele Tage in Folge völlig unverhältnismäßig bei jeder Kleinigkeit der Wasserwerfer zum Einsatz kam. Wie Menschen von uniformierten und behelmten Beamten ohne Grund geschubst oder auch vom Fahrrad geschlagen wurden. (…) Zum Höhepunkt dieser Auseinandersetzung soll in der Nacht von Freitag und Samstag nun ein ,Schwarzer Block’ in unserem Stadtteil gewütet haben. / Dies können wir aus eigener Beobachtung nicht bestätigen, die außerhalb der direkten Konfrontation mit der Polizei nun von der Presse beklagten Schäden sind nur zu einem kleinen Teil auf diese Menschen zurückzuführen. (…) Wir leben und arbeiten hier, bekommen seit vielen Wochen mit, wie das ,Schaufenster moderner Polizeiarbeit’ ein Klima der Ohnmacht, Angst und daraus resultierender Wut erzeugt. / Daß diese nachvollziehbare Wut sich am Wochenende nun wahllos, blind und stumpf auf diese Art und Weise artikulierte, bedauern wir sehr. (…) Dennoch sehen wir den Ursprung dieser Wut in der verfehlten Politik des Rot-Grünen Senats, der (...) einer hochmilitarisierten Polizei das komplette Management dieses Großereignisses auf allen Ebenen überlassen hat. (…) Wenn Olaf Scholz jetzt von einer inakzeptablen ,Verrohung’, der wir ,uns alle entgegenstellen müssen’, spricht, können wir dem nur beipflichten. / Daß die Verrohung aber auch die Konsequenz einer Gesellschaft ist, in der jeglicher abweichende politische Ausdruck pauschal kriminalisiert und mit Sondergesetzen und militarisierten Einheiten polizeilich bekämpft wird, darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben. (…) Wir hatten als Anwohner mehr Angst vor den mit Maschinengewehren auf unsere Nachbarn zielenden bewaffneten Spezialeinheiten als vor den alkoholisierten Halbstarken, die sich gestern hier ausgetobt haben. / Die sind dumm, lästig und schlagen hier Scheiben ein, erschießen dich aber im Zweifelsfall nicht.“
Das müssen wir den Tagesthemen freilich nachsehen, daß sie nicht über meine Möglichkeiten verfügen, beide Seiten ins Licht zu rücken, und irgendwer muß ja schließlich die Sache der Polizei vertreten. Daß die vierte Gewalt es mit der dritten hält, bringt jedenfalls mich nicht um den Schlaf.
Mein Schlafbedürfnis ist allerdings legendär.
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