Humorkritik | März 2024
März 2024
»Lachen kann etwas sehr Machtvolles sein, denn manchmal ist das im Leben die einzige Waffe, die wir haben.«
Roger Rabbit
In Polen nichts Neues
Aktuelle gesellschaftliche Probleme und Alltagssituationen in eine andere Zeit zu versetzen und so Witz zu erzeugen, funktioniert seit Urzeiten (»Die Dinos«), wurde auch in der Steinzeit (»Familie Feuerstein«) oder im Mittelalter (»Disenchantment«) praktiziert und wirft selbst in ferner Zukunft (»Futurama«) noch Pointen ab. Mit der Serie »1670« hat Netflix der Idee nun einen Barock-Ableger hinzugefügt, der im kleinen polnischen Dorf Adamczycha des titelgebenden Jahres spielt, wo wir den Landadligen Jan Paweł Adamczewski und verschiedene Verwandte und Leibeigene bei der Bewältigung ihres Alltags begleiten.
Leider begegnen mir in dieser Mischung aus Historienserie und Mockumentary allzu bekannte Rollen: der reaktionäre Vater, die gegen sämtliche gesellschaftlichen Probleme gleichzeitig ankämpfende Tochter, der einfache, aber liebenswerte Bauer, deren Zusammenspiel zwar sympathisch, aber etwas vorhersehbar ist, nicht nur für jemanden aus der Zukunft. Vermutlich wurde hier einfach zu tief in den Netflix-Algorithmus geschaut. Für die Serie spricht hingegen, dass man die Mentalität der Polen, historisch eingeklemmt zwischen Supermächten und deshalb changierend zwischen Resignation, hilflosem Spott und Hoffnung auf Größe, vorgeführt bekommt, was selten passiert. Umso bedauerlicher fand ich es, des Polnischen nicht mächtig, einige der offenbar nicht übersetzbaren Wortwitze zwar zu erkennen, aber nicht zu verstehen.
International verständlich sind dagegen die genretypischen Gags, die ein aktuelles Thema in historisches Gewand stecken. Sie wiederholen sich nach einigen Folgen zwar hin und wieder, sind aber doch meist gut ausgeführt. Wenn Hauptfigur Jan Paweł seinen Fahrer ob der stark ruckelnden Kutsche fragt, ob dieser getrunken habe, und der Fahrer bejaht, worauf Jan Paweł erfreut reagiert, weil Alkoholkonsum ein Zeichen von Wohlstand sei und sein Fahrer sonst keine ruhige Hand hätte, finde ich den Witz ansprechend weitergedacht. Anderswo funktioniert dieses Weiterdenken weniger gut: Da will etwa die Tochter die Dörfler von der Gefahr des unumkehrbaren Klimawandels in 300 Jahren überzeugen, und diese wehren ab: 300 Jahre seien zu lang – wären es 30, würde sie aber alles dagegen tun. Diesen Witz kann man machen. Nur leider wirkt der Kampf gegen die Klimaveränderung, der auf mehrere Folgen gestreckt wird, im 17. Jahrhundert einfach erzwungen und daher unglaubwürdig; anders als der ebenfalls vorkommende Kampf für Frauenrechte.
Ich vergebe hiermit das selten gebrauchte Prädikat »Gut, aber«.