Humorkritik | März 2024

März 2024

»Lachen kann etwas sehr Machtvolles sein, denn manchmal ist das im Leben die einzige Waffe, die wir haben.«
Roger Rabbit

Böse Schlange, grüner Specht

Vor Jahren war der fränkische Kabarettist Matthias Egersdörfer noch der »Vorstadtprinz« (Rowohlt), spielte Brettspiele mit seinen hinterlistigen Schwestern, erlebte den Kleingeld-Krieg zwischen Mutter und Großmutter und stand träumend im Wurstladen (TITANIC 8/19 berichtete). Der Kindheit und Schulzeit entwachsen, geht es direkt in die post-pubertäre Schwermut und eine »Bezirksklapsmühle«: Dort beginnt »Das Lachen des Grünspechts« (Verlag Starfruit), eine Art Fortsetzung der 2019er Lebensgeschichte, worin Egersdörfer von der Gründung der »fränkischen Boyband ›Fast zu Fürth‹« erzählt. Und weil zu einer Band mehr als eine Person gehört, tut er das gemeinsam mit seinem Co-Autor und Bandkollegen Lothar Gröschel.

Die Handlung ist rasch erzählt und nicht so wichtig: Eine Musikgruppe formiert sich, ein Kulturverein wird gegründet, ein gemeinsames Haus im ländlichen Franken bezogen. Man hat erste Auftritte, trinkt viel Bier und raucht viele, viele Zigaretten. Oft steht die Zeit still »wie ein Stapel Gehwegplatten«, und wenn was passiert, dann gerne im Konjunktiv: Egersdörfer versucht, eine Dose Bohnen zu öffnen, und verletzt sich dabei an der Hand; gleich steigt die peinigende Vorstellung in ihm auf, zu verbluten und die Nachwelt in den Irrglauben zu stürzen, er, der gerade aus der Psychiatrie Entlassene, habe Suizid begangen. Dabei sind doch, wie im Gespräch mit dem Vater erörtert wird, andere Arten des Selbstmordes viel sicherer: »Dem Zug nämlich ist es in der Regel scheißegal, wie fett einer ist, der auf den Schienen liegt … Der Zug zerteilt auch einen Fetten.«

Was bei Egersdörfer/Gröschel Freude bereitet, ist der Blick fürs und aufs Kleine; ob jemand beim Bauen einer Zigarette scheitert und sich für die losen Tabakfäden »ein kleines Nudelholz« wünscht oder ob in der Gastwirtschaft gebechert wird (»… nach dem Hinunterschlucken sagten sich die Menschen Wörter ins Gesicht und schütteten sich Bier den Hals hinunter, als wären die gesprochenen Silben ein wenig zu trocken gewesen, oder als müsse man den gehörten Buchstabenreihen eine Flüssigkeit nachgießen wie frisch gepflanzten Bäumen«). Zu den größten Sensationen gehört es dann schon, wenn der Kulturverein beim Notar angemeldet wird und es wegen des öden notariellen Vortrags zur homoerotischen »Fummelei der halbstarken Jungstiere« kommt: Da wird aus Langeweile des Nebenmannes Nabel gestreichelt, eine Zunge »wie eine nasse Schraube tief in den Gehörgang« des Kollegen versenkt, bis die Mitarbeiterin dem Treiben ein Ende bereitet und zu Disziplin und Aufmerksamkeit mahnt: »Hell leuchtete jetzt die heilige Ordnung der Gesetze und Paragrafen und wärmte die Herzen unserer vier Freunde.« Manchmal entsteht die Komik auch schlicht aus dem überpräzisen, wohl franko-bajuwarischen Gebrauch des unbestimmten Artikels: »Das Schaf schaute kurz herüber zu dem Fenster mit den Burschenköpfen dahinter – und kaute gleich darauf stoisch wieder ein Gras.« Ein Gras! Fabelhaft. Dass die vier Gesellen selber oft allzu barock daherschwallen, sei ihnen verziehen, es gehört zur Komik, auch wenn es mir in der direkten Rede viel weniger Spaß macht als in den Beschreibungen. Wenn man Glück hat, wird das nervtötende Gelaber der Bandmitglieder ohnehin postwendend abgekanzelt: »So eine windelweiche Aneinanderreihung von halbgaren Gedanken so dürftig hintereinanderzuhängen auf einer langen Wäscheleine im Garten der Schludrigkeit …«

Ein paar Auftritten von »Fast zu Fürth« (»Bi-ba-beißt die böse Schlange / euch im Schlafe tot«) dürfen wir noch beiwohnen, dann knattern die Freunde in ihrem Tourwagen davon, »und noch bevor jemand was Gescheites dazu einfallen konnte, drehte der Seitz die Fensterscheibe hinunter und ließ die selbstgebastelten Lautsprecher auf netto 60 Watt und gute 85 Dezibel hinausrufen, damit es die ganze fränkische Welt, an der sie vorbeibrausten, hören konnte: ›DU BIST FREI! DU BIST FREI!‹ Und sofort grölte die ganze Korona – die Blase der vier Allzeitdilettanten – dieses endzeitliche Versprechen, diesen vordemokratischen Unfug und anthropologischen Evergreen 100- und 1000fach, 10000fach vielleicht sogar – nur hin und wieder unterbrochen von hysterischen Lachkrämpfen und Hustenattacken –, sie plärrten diese Parole so lange, bis auf einem blauen Schild endlich ›Simmelsdorf‹ stand.« Da plärre ich gerne mit, wenn auch ein bisschen leiser.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 Diese Steilvorlage, Kristina Dunz (»Redaktionsnetzwerk Deutschland«),

wollten Sie nicht liegenlassen. Die Fußballnation hatte sich gerade mit der EM-Viertelfinalniederlage gegen Spanien angefreundet, der verlorene Titel schien durch kollektive Berauschtheit an der eigenen vermeintlich weltoffenen Gastgeberleistung sowie durch die Aussicht auf vier Jahre passiv-aggressives Gemecker über die selbstverständlich indiskutable Schiedsrichterleistung (»Klarer Handelfmeter!«) mehr als wiedergutgemacht, da wussten Sie einen draufzusetzen. Denn wie es Trainer Julian Nagelsmann verstanden habe, »eine sowohl fußballerisch als auch mental starke National-Elf zu bilden«, die »zupackt und verbindet«, hinter der sich »Menschen versammeln« können und der auch »ausländische Fans Respekt zollen«, und zwar »auf Deutsch« – das traf genau die richtige Mischung aus von sich selbst berauschter Pseudobescheidenheit und nationaler Erlösungsfantasie, die eigentlich bei bundespräsidialen Gratulationsreden fällig wird, auf die wir dank des Ausscheidens der Mannschaft aber sonst hätten verzichten müssen.

Versammelt sich lieber vorm Tresen als hinter elf Deppen: Titanic

 Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Lieber Jörg Metes (5.1.1959–16.6.2024),

Du warst der jüngste TITANIC-Chefredakteur aller Zeiten. Du warst der Einzige, der jemals eine klare Vorstellung davon hatte, wie das ideale Heft aussehen musste, und hast immer sehr darunter gelitten, dass sich Deine Utopie nur unzureichend umsetzen ließ. Aus Mangel an Zeit und an Mitarbeiter/innen, die bereit waren, sich Nächte um die Ohren zu schlagen, nur um die perfekte Titelunterzeile oder das richtige Satzzeichen am Ende des Beitrags auf Seite 34 zu finden.

Legendär der Beginn Deiner satirischen Tätigkeit, als Du Dich keineswegs über einen Abdruck Deiner Einsendung freutest, sondern Robert Gernhardt und Bernd Eilert dafür beschimpftest, dass sie minimale Änderungen an Deinem Text vorgenommen hatten. Das wurde als Bewerbungsschreiben zur Kenntnis genommen, und Du warst eingestellt. Unter Deiner Regentschaft begann die Blütezeit des Fotoromans, Manfred Deix, Walter Moers und Michael Sowa wurden ins Blatt gehievt, und manch einer erinnert sich noch mit Tränen in den Augen daran, wie er mal mit Dir eine Rudi-Carrell-Puppe vor dem iranischen Konsulat verbrannt hat.

Nach TITANIC hast Du viele, die ihr Glück weder fassen konnten noch verdient hatten, mit Spitzenwitzen versorgt und dem ersten deutschen Late-Night-Gastgeber Thomas Gottschalk humortechnisch auf die Sprünge geholfen. Und dass River Café, eine deutsche Talkshow, die live aus New York kam, nur drei Folgen erlebte, lag bestimmt nicht an Deinen Texten. Auf Spiegel online hieltest Du als ratloser Auslandskorrespondent E. Bewarzer Dein Kinn in die Kamera, und gemeinsam mit Tex Rubinowitz hast Du das Genre des Listenbuches vielleicht sogar erfunden, auf jeden Fall aber end- und mustergültig definiert, und zwar unter dem Titel: »Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen«. Und diese eine Geschichte, wo ein Psychiater in ein Möbelhaus geht, um eine neue Couch zu kaufen, und der Verkäufer probeliegen muss, wo stand die noch mal? Ach, in der TITANIC? Sollte eigentlich in jedem Lesebuch zu finden sein!

Uns ist natürlich bewusst, dass Du auch diesen Brief, wie so viele andere, lieber selber geschrieben und redigiert hättest – aber umständehalber mussten wir das diesmal leider selbst übernehmen.

In Liebe, Deine Titanic

 Gemischte Gefühle, Tiefkühlkosthersteller »Biopolar«,

kamen in uns auf, als wir nach dem Einkauf Deinen Firmennamen auf der Kühltüte lasen. Nun kann es ja sein, dass wir als notorisch depressive Satiriker/innen immer gleich an die kühlen Seiten des Lebens denken, aber die Marktforschungsergebnisse würden uns interessieren, die suggerieren, dass Dein Name positive und appetitanregende Assoziationen in der Kundschaft hervorruft!

Deine Flutschfinger von Titanic

 Also echt, Hollywood-Schauspieler Kevin Bacon!

»Wie wäre es eigentlich, wenn mich niemand kennen würde?« Unter diesem Motto verbrachten Sie mit falschen Zähnen, künstlicher Nase und fingerdicken Brillengläsern einen Tag in einem Einkaufszentrum nahe Los Angeles, um Ihre Erfahrungen als Nobody anschließend in der Vanity Fair breitzutreten.

Die Leute hätten sich einfach an Ihnen vorbeigedrängelt, und niemand habe »Ich liebe Dich!« zu Ihnen gesagt. Als Sie dann auch noch in der Schlange stehen mussten, um »einen verdammten Kaffee zu kaufen«, sei Ihnen schlagartig bewusst geworden: »Das ist scheiße. Ich will wieder berühmt sein.«

Das ist doch mal eine Erkenntnis, Bacon! Aber war der Grund für Ihre Aktion am Ende nicht doch ein anderer? Hatten Sie vielleicht einfach nur Angst, in die Mall zu gehen und als vermeintlicher Superstar von völlig gleichgültigen Kalifornier/innen nicht erkannt zu werden?

Fand Sie nicht umsonst in »Unsichtbare Gefahr« am besten: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster