Humorkritik | März 2023

März 2023

»Der Boden, um meine Werke in meiner Denkweise zu schaffen, ist nur in Deutschland vorhanden. Die Deutschen sind noch am ehesten zur Selbstironie fähig und auch tolerant genug, meine Provokationen zu ertragen und zu verstehen.«
Peter Lenk

»Spare« an Nebensätzen

Es hat schon eine nicht unbeträchtliche Fallhöhe, wenn ein Prinz, und sei er nur die »Reserve« der Familie, ein Buch über sein Leben schreibt und ankündigt, kräftig vom Leder zu ziehen und allerhand Skandale auszutrompeten. Spoileralarm: Harry Duke of Sussex’ Memoiren sind großteils harmloser Kitsch; wie zu erwarten stürzte sich die Klatschpresse sofort auf die vorab kolportierten Geschichten vom frostgeschädigten Penis und die Unschuld, die in einem Feld an eine ältere Frau verloren ging. Jaja, alles schön skurril – und doch wollte ich mal sehen, ob nicht auch für mein Fach noch etwas abfiele, zumal Harrys Frau Meghan bei Netflix Hoffnung in diese Richtung gemacht hatte (»told you this guy is funny«).

Leider stellt sich schnell heraus, dass »Spare« wirklich nur unfreiwillig komisch ist; das aber immerhin durchgängig. Harry (oder vielmehr sein Ghostwriter J. R. Moehringer) bedient sich eines Stakkatostils, der auf Dauer wahnsinnig nervt – »Spare« wie in »spare me the relative clauses«: Ein Hauptsatz jagt den nächsten, und das hat einerseits militärische Trommelfeuer-Qualitäten und andererseits ein bisschen die Anmutung eines Sechsjährigen, der zum ersten Mal eine Geschichte in sein Notizbuch malt. Die Weinerlichkeit und das Pathos sind nur schwer zu ertragen, ob beim Arzt (»Die Zeit, sagte er, heilt. Echt, Doc? Das ist nicht, was ich bisher erfahren habe«), ob im Krieg (»Stell dir die Welt, sagten sie, als Hierarchie vor. Hierarchie, sagt ihr? Damit kann ich umgehen«; Übersetzung aus dem Englischen übrigens von mir selbst, Anm.). Die meisten Sätze beginnen mit »Ich«, damit man auch gleich sieht, was wichtig ist; idealisiert wird das Leben mit den Kampfkumpels, da kann Harry seine besten Oneliner bringen: »Einer der Guides nannte das Lagerfeuer ›Bush TV‹. ›Ja, sagte ich, jedes Mal, wenn du einen neuen Holzscheit reinwirfst, wechselst du den Kanal.‹ Das liebten sie alle.«

Komisch ist auch, wie sehr der Prinz sein Unwissen und seine fehlende schulische Ausbildung ausstellt. Auf den Bahamas besucht er einen pinkfarbenen Strand: »Sie sagte mir, warum der Sand pink ist, eine wissenschaftliche Erklärung, die ich nicht verstand.« Wenn er die »wirkliche Wahrheit« entdeckt, dann ist es diese: »Dass das Leben nicht nur gut ist, aber auch nicht nur schlecht.« Und die Journalistin Rebekah Brooks, die behauptet hat, Harry habe eine Entziehungskur (»rehab«) gemacht, wird von ihm anagrammatisch zu »Rehabber Kooks« (okay, immerhin).

Zurück zum Penis: Die Unannehmlichkeiten ereignen sich just zur Hochzeit von Kate und William, ein Termin, den Harry als Verlust des Bruders empfindet, was zum vielleicht lustigsten Satz des Buches führt: »Was wollte mir das Universum beweisen, indem es mir meinen Penis im selben Moment nahm wie meinen Bruder?« Ja, was?

Die Auflösung folgt hoffentlich nicht in Harrys bereits angedrohtem zweiten Buch; das seinerseits hoffentlich gar nicht erst geschrieben wird.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg