Humorkritik | März 2023

März 2023

»Der Boden, um meine Werke in meiner Denkweise zu schaffen, ist nur in Deutschland vorhanden. Die Deutschen sind noch am ehesten zur Selbstironie fähig und auch tolerant genug, meine Provokationen zu ertragen und zu verstehen.«
Peter Lenk

Ganz klein, mit Hut

Über einen öffentlich-rechtlichen Compliance-Fall lese ich auf der Medienseite der FAZ: »Da geht es um den Comedian Moritz Neumeier, der in einem Programm Witze über Pädophilie und Sex mit Kleinwüchsigen riss, die nicht zitabel sind und die der WDR nach Bekanntwerden aus dem ›Lustig‹ genannten Programm schnitt.« Augenblick, was heißt hier »nicht zitabel«? Das wollen wir doch mal sehen bzw. lesen, z.B. in der Berliner Morgenpost: »In seiner Comedyshow versucht Neumeier auf witzige Weise anzusprechen, dass Menschen mit pädophiler Neigung in ihrem sozialen Umfeld nicht darüber sprechen können: ›Wenn du das im Freundeskreis erzählst, hast du auch ziemlich schnell keinen Freundeskreis mehr‹. Darauf folgen Witze über mögliche Reaktionen von Eltern: ›Also bei mir zu Hause brauchst du nicht mehr … du … ich hab zwei Kinder.‹«

»Versucht« – da will ich nicht widersprechen. Das Blatt zitiert den Spaßmacher weiter: »Es gibt kein einfaches Mittel gegen Pädophilie, außer, klar, Liliputaner. Ach so, nein, es ist kein Mittel. Es ist eher so Methadon. Damit die langsam von den Kindern runterkommen. Und du musst das wirklich langsam machen, wenn du da runterkommst. Nein, wenn du das zu schnell … dann erschrecken die Kinder.«

Ich bin mit dem Werk des Herrn Neumeier – ausweislich der Google-Bildersuche ein jüngerer Brillenträger mit Schiebermütze – nicht vertraut, wünsche ihm aber, er könnte sein Material fünfzehn Jahre in die Zeit zurückschicken, als derart bemühte Tabubruchversuche noch als erfrischend und »edgy« galten. Ja, hat man denn nicht exakt so eine Nummer schon von Louis C. K. gehört, bloß pointierter und konzis formuliert? Der WDR jedenfalls habe »entschieden«, schreibt die Morgenpost, »die entsprechende Passage herauszuschneiden und dies transparent zu machen«. Das wiederum stößt mir sauer auf: Zensur sowie Zensurvor- und Überempfindlichkeitsanwürfe zu begünstigen, das kann nicht im Sinne eines gebührenfinanzierten Mediums sein. Ärgerlich auch die Überschrift des erwähnten Zeitungsartikels: »WDR-Comedian scherzt über Pädophilie: Entsetzte Reaktionen« – als wäre allein die Tatsache, dass jemand über Pädophilie scherzt, Anlass zu Empörung. Einmal mehr zeigt sich hier, wie Reizwörter und -sujets zu Kurzschlussreaktionen führen. Man sollte Neumeiers Auftritt in voller Länge einsehbar machen – und sei es nur als abschreckendes Beispiel für den grausigen Zustand hiesiger Comedy.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 Gesundheit, Thomas Gottschalk!

In Ihrem Podcast »Die Supernasen« echauffierten Sie sich mit einem fast schon dialektischen Satz zu Ihrer eigenen Arbeitsmoral über die vermeintlich arbeitsscheuen jungen Leute: »Es gab für mich nie eine Frage – ich war nie in meinem Leben krank, wenn ich im Radio oder im Fernsehen aufgetreten bin. Ich habe oft mit Schniefnase irgendwas erzählt.«

Das hat bei uns zu einigen Anschlussfragen geführt: Wenn Sie »nicht krank«, aber mit Schniefnase und im Wick-Medinait-Delirium vor einem Millionenpublikum zusammenhanglose Wortfetzen aneinandergereiht haben – war das nicht eine viel dreistere, weil höher bezahlte Form der Arbeitsverweigerung als eine Krankmeldung?

Wünscht Ihnen nachträglich gute Besserung: Titanic

 Nachdem wir, »Spiegel«,

Deine Überschrift »Mann steckt sich bei Milchkühen mit Vogelgrippe an« gelesen hatten, müssen wir selbst kurz in ein Fieberdelirium verfallen sein. Auf einmal waberte da Schlagzeile nach Schlagzeile vor unseren Augen vorbei: »Affe steckt sich bei Vögeln mit Rinderwahnsinn an«, »Vogel steckt sich bei Mann mit Affenpocken an«, »Rind steckt sich bei Hund mit Katzenschnupfen an«, »Katze steckt sich bei Krebs mit Schweinepest an« und »Wasser steckt sich bei Feuer mit Windpocken an«.

Stecken sich auf den Schreck erst mal eine an:

Deine Tierfreund/innen von Titanic

 Kleiner Tipp, liebe Eltern!

Wenn Eure Kinder mal wieder nicht draußen spielen wollen, zeigt ihnen doch einfach diese Schlagzeile von Spektrum der Wissenschaft: »Immer mehr Lachgas in der Atmosphäre«. Die wird sie sicher aus dem Haus locken.

Gern geschehen!

Eure Titanic

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster