Humorkritik | Juni 2023

Juni 2023

»Der böse Mensch ist witzig. Seine Bosheit macht ihm Spaß, denn sie macht ihn stark, die Stärke macht ihn siegreich, das Siegen macht ihn witzig. Und die Unterlegenen kann der Böse dann zum Spaß mit seinen Witzen gut verhöhnen.«
Rainald Goetz

Döpfner heut’ und einst

In der Schilderung der vom freiheitlichen Entscheider-Kapitalismus ruinierten (Männer-)Seelen hätte Benjamin von Stuckrad-Barres vielbesprochener Springer- und Döpfner-Roman »Noch wach?« (Kiepenheuer &  Witsch) durchaus seine satirischen Qualitäten, könnte ein Insider-Bericht denn Satire sein – es sei denn, es wäre ein bloß behaupteter, und das scheidet hier aus. Entstellt, so muss man fürchten, ist hier wenig bis gar nichts, und es bleibt der Schlüsselroman, der seine Wirklichkeit zwar aufbereitet und verdichtet, aber nicht der Kunst zum Fraß vorwirft.

Sehr viel häufiger gelacht habe ich folglich beim Wiederlesen von Rainald Goetz’ komisch-satirischem Meisterwerk »Johann Holtrop« (Suhrkamp), das zu seiner Zeit (2012) nicht besprochen zu haben ich mir vorwerfen muss. Auch hier handelt es sich um einen Schlüsselroman, denn Holtrop ist unverkennbar Thomas Middelhoff, der legendär gescheiterte und wegen Untreue und Steuerhinterziehung verurteilte Bertelsmann- und Karstadt-Manager, wie das Gros des zahlreichen Personals aus Wirtschaft, Politik und Medien ein Realvorbild hat, auch »Trude Gosch« und »Goschchef Messmer«, hinter denen sich Friede Springer und Mathias Döpfner verbergen. Allein der klar auf die Sylter Fischbude anspielende, lustig herabwürdigende Name markiert aber schon, dass es Goetz, anders als Stuckrad-Barre, nicht um Klärung, sondern um Demontage geht, und der leicht hysterische, hier ins burlesk Bernhardeske gedrehte Goetz-Ton dient auf das allerüberzeugendste dem Entschluss, keinen Stein auf dem anderen zu lassen und einer nichts als blöden Wirklichkeit mit einer streng literarisierten (und sachlich hochinformierten) Form des Blödelns zu begegnen.

Anders als »Noch wach?«, dessen Idee eben eine journalistische ist, setzt »Johann Holtrop« viel feuilletonistische Bildung voraus, denn wer nicht weiß, wie Hitlers Leibarzt hieß, wird über den »Gesundheitsarzt Dr. Morell«, der dem erkrankten Holtrop »jeden zweiten Tag Eigenblut und Yogaserum« spritzt, nicht lachen können; und wer sich zu Recht nicht an die Jungschriftstellerin Rebecca Casati erinnert, »Freundin und zukünftige Ehefrau« von Frank Schirrmacher (alias »Göhrener«), muss »die junge freche Nora Schalli«, in deren »erstem und letztem« Roman »es auf sehr banale Art um Sexualität, speziell um das sogenannte Ficken gegangen war«, dann eben pars pro toto nehmen: »Und dieses Fickzitat aus diesem Schallifickbuch war mit dem Namen Nora Schalli zusammengebracht und im Tag«, der Welt, »völlig korrekt zur Besichtigung freigegeben worden, woraufhin Göhrener, selbst mächtiger Großchefredakteur …, bei Goschchef Messmer telefonisch eine Vendetta gegen den Autor dieser Kulturaufsteigerinnenliste ankündigte, mit der DROHUNG, dieser Journalist werde in Deutschland nie wieder, dafür verbürge er sich mit allem Einfluss, den er habe, einen Fuß auf den Boden, einen Job, eine Stelle als Schreiber, egal ob frei oder festangestellt, bekommen usw (sic), so wahr ihm, Göhrener, Gott helfe. Puh. … Und dann sagte Messmer zu Göhrener, was alle anderen von Göhrener Angerufenen, Beschimpften und Bedrohten auch gesagt hatten, was ja sogar Göhrener selbst dauernd allen möglichen Leuten sagte, von denen er derartige Repressionsanrufe bekam, wie er sie in seiner Erregung jetzt in die Welt hinaustelefonierte, dass bei Gosch von oben auf redaktionelle Inhalte traditionellerweise nie, Messmer betonte nie, irgendein Einfluss genommen werde oder genommen worden sei, wie er, Göhrener, doch wisse. Das war natürlich wieder einmal komplett gelogen. Auch das wussten alle. Aber das war in solchen Fällen … die gesetzlich vorgeschriebene Sprachregelung: Einfluss wird nicht genommen. Im Schutz dieser Formel wurde täglich überall und von allen herumtelefoniert wie verrückt.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.11.2023 Stuttgart, Theaterhaus Max Goldt
30.11.2023 Erfurt, Franz Mehlhose Max Goldt
30.11.2023 Friedrichsdorf, Forum Friedrichsdorf Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige
01.12.2023 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer