Humorkritik | Juni 2023

Juni 2023

»Der böse Mensch ist witzig. Seine Bosheit macht ihm Spaß, denn sie macht ihn stark, die Stärke macht ihn siegreich, das Siegen macht ihn witzig. Und die Unterlegenen kann der Böse dann zum Spaß mit seinen Witzen gut verhöhnen.«
Rainald Goetz

Heiße Hitze

Die These zu vertreten, Schlagertexte wiesen gelegentlich ein intellektuell bedenkliches Niveau auf, wäre in etwa so originell, wie in besagten Texten Herz auf Schmerz zu reimen. Wenn ich dennoch Michael Behrendts Buch »Mein Herz hat Sonnenbrand. Über schiefe bis irrwitzige Songtexte aus 60 Jahren deutscher Popmusik« (Reclam) zur gelegentlichen Lektüre empfehle, dann aus zwei Gründen. Zum einen behandelt der Musikjournalist Behrendt nicht nur Schlagertexte, sondern, wie es der Untertitel korrekt besagt, Songtexte; und zwar, wie es der Untertitel nicht korrekt besagt, nicht nur deutscher, sondern auch internationaler Provenienz. Behrendt beginnt mit einem eigentlich kitschunverdächtigen Klassiker, und es reicht, wenn er einfach nur den Inhalt von Americas »A Horse With No Name« von 1972 referiert, um zu zeigen, was für »Unzulänglichkeiten« der Text aufweist, nein: was für ein Unsinn da erzählt wird: »The heat was hot«. Ein guter erster Beleg für des Autors wenig gewagte These, sowohl Songs als auch Schlager betreffend: »Wovon der Song erzählt, ist zweitrangig. Es ist die Gesamtatmosphäre, die mitreißt, weniger der Text«.

Zum Zweiten überzeugt das Buch durch seine Fülle an Textbeispielen. Unfassbar, was da an Quatsch zusammenkommt. »Ich würd’ so gern mit dir hängen, / aber trau’ mich nicht zu fragen«, traut sich 2018 eine gewisse Lea zu klagen, während Ted Herold 1962 frohlockte: »Wir jungen Leute von heute sind oho, / dass wir so jung sind, das macht uns froh«. »Ich komm zurück, / weil ich dich mag / Mein Kopf in deinem Schoß / wie eine Taube in ihrem Schlag«, gurrt ein Philipp Poisel 2008 in »Halt mich«, irgendwo im Wahngebiet zwischen brieftäublichem Heimkehrerkomplex und Geburtskanal-Nostalgie. Natürlich ist das alles auf Dauer kaum auszuhalten – für den Leser, aber auch für Autor Behrendt, der angesichts immer schlimmerer textlicher Blödsinnslawinen mitunter sein Analysebesteck fallen lässt und, was dem Schlager ja nicht ganz unangemessen ist, emotional wird: »Ja, ist denn das zu fassen?«

Wobei, »Analysebesteck«: Da weist Behrendts Buch Schwächen auf, es mangelt ihm an Systematik und Genauigkeit und es tendiert zur Redundanz. Aber eigentlich ist es ja auch unnötig, quasi-philologisch vorzugehen: Reicht es nicht, einen Text der furchtbaren Toten Hosen zu zitieren? Rennt nicht sperrangelweit offene Türen ein, wer belegen will, wie töricht Grönemeyers Lyrik ist: »Überkomm mich mit all deiner Liebe, / Überfrau mich mit Gefühl«? Unlängst überfraute ja sogar das Magazin der Süddeutschen Zeitung die nahezu satirische Anwandlung, Grönemeyer mit Versionen seiner Texte zu konfrontieren, die von ChatGPT stammten. Dass Gröni seine Poesie im Interview für gelungener befand als die bot-erzeugte, lasse ich ihm durchgehen – ob’s die Lieder besser macht? Dass es immer wieder nötig ist, Unfug als Unfug zu benennen und die leuchtende Evidenz farbig zu markieren, könnte einen trübsinnig machen; aber davon leben wir nun einmal, der Michael Behrendt und ich.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg