Humorkritik | August 2023

August 2023

»Der Gedanke an Unsterblichkeit ist komisch geworden. – Er bedeutet mir um kein Haar weniger.«
Elias Canetti

Larkin-Fan Martin Amis

Bekanntlich meint Olaf Scholz, als deutscher Bundeskanzler in Zeiten einer »Zeitenwende« zu regieren, dabei waren die Alten Griechen ihrerzeit schlauer, wussten sie doch: Alles fließt. Ich weiß das auch, und zwar nicht zuletzt, weil es mein Interessengebiet betrifft. Denn auch Komik und das, was Menschen als komisch empfinden, ist ständig im Wandel.

Dafür, dass tabu ist, was vor noch nicht langer Zeit als witzig galt, ist der englische Schriftsteller Martin Amis ein gutes Beispiel. Wie sein 1949 begonnenes und unlängst, am 19. Mai, beendetes Leben einen Bogen vom bösen Buben der britischen Literatur zu deren zornigem alten weißen Mann beschreibt, kann man in seinem letzten »Roman« nachlesen: »Inside Story«, im vergangenen Jahr bei Kein und Aber erschienen, ist, an die »Hauptsachen« von 2005 anschließend, ein wilder Ritt durch dieses Leben, Fakten und Erfindungen kühn mischend. Wieder geht es um Liebschaften, Betriebstratsch, das Schreiben, den berühmten Vater Kingsley Amis, das Leben prägende Freundschaften – und immer wieder um Komik.

Ausgerechnet den Lyriker Philip Larkin (1922–1985) stellt Amis dabei als vorbildlich komischen Autor dar, womit ich schon wieder beim Thema Wandel wäre. Denn Larkin, der jahrelang quasi als britischer Nationaldichter galt, ist in Ungnade und aus den Lehrplänen gefallen, u.a. deshalb, weil in Briefen aus seinem Nachlass rassistische Äußerungen gefunden wurden. Über den Fall selbst weiß ich nicht näher Bescheid, kann mir aber gut vorstellen, dass Larkin, der als griesgrämiger, menschenscheuer Bibliothekar voll unerfüllter sexueller Sehnsüchte beschrieben wird, nicht recht ins Heute passen würde. Sein berühmtestes Gedicht »Hohe Fenster« beginnt so: »Wenn ich zwei junge Leute sehe / Und schätze, er fickt sie und sie / Nimmt die Pille oder trägt einen Pessar, / Weiß ich, das ist das Paradies.« Das ist die berühmte Larkin’sche Lakonie (um nicht zu kalauern: Larkonie), so gehen seine Gedichte, komische habe ich darunter aber nicht gefunden. Halbwegs lustig scheinen mir allenfalls einige seiner Aphorismen: »Ich finde Herbst und Winter besser als Frühling und Sommer, da muss ich nicht so tun, als wäre ich fröhlich.« Oder: »Einer der größten Augenblicke meines Lebens war die Erkenntnis, dass ich aus einem Theater auch wieder hinausgehen kann.«

Es handelt sich hier um die Art von Sarkasmus, die auch Martin Amis gemocht und praktiziert hat: »Schriftsteller sind lustig, weil das Leben lustig ist.« Genauso »lustig« ist, folgt man Amis, eben auch Larkin: Dessen »Leben war vollgestopft mit unablässig sich wiederholenden Demütigungen, bei denen man sagt: Würde man nicht lachen, man würde weinen. Ja, und wenn man nicht weinte, würde man lachen. Das ist die Achse, auf der sich die Gedichte drehen.«

Im Zentrum von »Inside Story« stehen Amis’ Freunde und deren Todesarten. Vor allem der ausgesprochen anschaulich geschilderte Krebstod seines besten Kumpels, des streitbaren Publizisten Christopher Hitchens, zeigt den (Galgen-)Humor britischer und Amis’scher Spielart. Ich lese das alles fasziniert, bisweilen mit Schrecken, nicht unbedingt mit Sympathie, aber doch mit einer gewissen Wehmut, weil der scharfzüngige Zynismus aus dem rhetorischen Arsenal zu verschwinden droht. Das wäre schade, denn er stellt eine Möglichkeit dar, halbwegs souverän über die Runden zu kommen. »Folgen Sie Ihrer Feder, wohin sie Sie auch führt«, schreibt Amis, der sich gegen »ein primitives Credo der Wörtlichkeit« wendet. »Freimut und Humor, insbesondere aber die Ablehnung von allem, was mit Verlegenheit oder gekränktem Stolz verwechselt werden könnte«, setzt er dagegen, und »die Ablehnung der Scham«. Denn »Literatur ist Freiheit, und Freiheit ist unteilbar«. Das ist vielleicht pathetisch, nicht eben lustig – falsch ist es aber trotzdem nicht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sakra, »Bild«!

Da hast Du ja wieder was aufgedeckt: »Schauspieler-Sohn zerstückelt Lover in 14 Teile. Die dunkle Seite des schönen Killers. Im Internet schrieb er Hasskommentare«. Der attraktive, stinknormal wirkende Stückel-Killer hat Hasskommentare im Netz geschrieben? So kann man sich in einem Menschen täuschen! Wir sind entsetzt. Dieses Monster!

Indes, wir kennen solche Geschichten zur Genüge: Ein Amokläufer entpuppt sich als Falschparker, eine Kidnapperin trennt ihren Müll nicht, die Giftmischerin hat immer beim Trinkgeld geknausert, und das über Leichen gehende Hetzblatt nimmt’s gelegentlich mit der Kohärenz beim Schlagzeilen-Zusammenstückeln nicht so genau.

Grüße von der hellen Seite des Journalismus Titanic

 Sind Sie sicher, Rufus Beck?

Im Interview mit Deutschlandfunk Kultur zum 25. Jubiläum des Erscheinens des ersten deutschsprachigen »Harry-Potter«-Buchs kamen Sie ins Fantasieren: Würde Harry heutzutage und in der echten Welt leben, dann würde er sich als Klimaschützer engagieren. Er habe schließlich immer für eine gute Sache eingestanden.

Wir möchten Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass Harry Potter ein Zauberer ist, sich folglich gar nicht für den Klimaschutz engagieren müsste, sondern ihn mit einem Schnips obsolet machen könnte. Da allerdings in sieben endlos langen »Harry Potter«-Bänden auch keine Klassenunterschiede, Armut oder gar der Kapitalismus weggezaubert wurden, fragen wir uns, warum Harry gerade bei der Klimakrise eine Ausnahme machen sollte. Aber wo Sie schon so am Fabulieren sind, kommen wir doch mal zu der wirklich interessanten Frage: Wie, glauben Sie, würde sich Ihr Kämpfer für das Gute zu Trans-Rechten verhalten?

Hat da so eine Ahnung: Titanic

 Puh, 47jährige,

bei Euch läuft es ja nicht so rund gerade. »Nur mit Unterhose bekleidet: 47-Jähriger flippt an Trambahn-Haltestelle aus« müssen wir pfaffenhofen-today.de entnehmen. InFranken meldet: »143 Autos in vier Jahren zerkratzt – 47jähriger Verdächtiger wurde festgenommen«, und schließlich versaut Rammstein-Ekel Lindemann Euch noch zusätzlich das Prestige. Der ist zwar lang nicht mehr in Eurem Alter, aber von dem Lustgreis ist in letzter Zeit dauernd im Zusammenhang mit Euch die Rede, weil er sich als 47jähriger in eine 15jährige »verliebt« haben will.

Und wenn man sich bei so viel Ärger einfach mal einen antrinkt, geht natürlich auch das schief: »Betrunkener 47-Jähriger landet in Augustdorf im Gegenverkehr«, spottet unbarmherzig lz.de.

Vielleicht, liebe 47jährige, bleibt Ihr besser zu Hause, bis Ihr 48 seid?

Rät die ewig junge Titanic

 Du, Krimi-Autorin Rita Falk,

bist mit der filmischen Umsetzung Deiner zahlreichen Eberhofer-Romane – »Dampfnudelblues«, »Sauerkrautkoma«, »Kaiserschmarrndrama« – nicht mehr zufrieden. Besonders die allerneueste Folge, »Rehragout-Rendezvous«, erregt Dein Missfallen: »Ich finde das Drehbuch unglaublich platt, trashig, stellenweise sogar ordinär.« Überdies seien Szenen hinzuerfunden worden und Charaktere verändert. Besonders verabscheuungswürdig seien die Abweichungen bei einer Figur namens Paul: »Der Film-Paul ist einfach ein Dorfdepp.«

Platt, trashig, ordinär – das sind gewichtige Vorwürfe, Rita Falk, die zu einer vergleichenden Neulektüre Deiner Romane einladen. Da fällt uns übrigens ein: Kennst Du die Geschichte vom Dorfdeppen, der sich beschwert, dass der Nachbarsdorfdepp ihn immer so schlecht imitiert?

Wär’ glatt der Stoff für einen neuen Roman!

Finden Deine Trash-Flegel von Titanic

 Ei Gude, Nancy Faeser!

Ei Gude, Nancy Faeser!

Als Bundesinnenministerin und SPD-Spitzenkandidatin für die hessische Landtagswahl stellen Sie im Wahlkampf wöchentlich eine weitere Verschärfung des Asylrechts in Aussicht, um bei Ihren stockkonservativen hessischen Landsleuten zu punkten. Das Dumme ist nur, dass Sie damit bis jetzt bei Ihrer Zielgruppe nicht so recht ankommen. Der sind Sie einfach zu zaghaft.

Da hilft nur eins: Klotzen, nicht kleckern! Ihr Amtsvorgänger Horst Seehofer (CSU) hat es doch vorgemacht und sich über die Abschiebung von 69 Afghan/innen an seinem 69. Geburtstag gefreut! Das haben alle verstanden. Tja, Ihr 53. Geburtstag am 13. Juli ist schon rum, die Chance ist vertan! Jetzt hilft nur noch eins: gemeinsame Wahlkampfauftritte mit Thilo Sarrazin!

Und flankierend: eine Unterschriftensammlung gegen die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, die es Migrant/innen erleichtert, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, ohne die eigene aufzugeben. Für Unterschriftenaktionen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft sind die Hess/innen seit jeher zu haben (»Wo kann ich gegen die Ausländer unterschreiben?«). Und dass Sie damit gegen Ihren eigenen Gesetzentwurf agitieren – das werden die sicher nicht checken!

Darauf wettet Ihre Wahlkampfassistenz von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Löffelchenverbot

Ich könnte niemals in einer Beziehung mit Uri Geller sein. Ich will mich einfach für niemanden verbiegen.

Viola Müter

 Brotlose Berufsbezeichnung

Ich arbeite seit Jahren erfolgreich als honorarfreischaffender Künstler.

Jürgen Miedl

 Backpainer-Urlaub

Eine Thailandreise ist die ideale Gelegenheit, sich bei unzähligen Thaimassagen endlich mal jene Rückenschmerzen rauskneten zu lassen, die man vom Tragen des Rucksacks hat, den man ohne die Thailandreise gar nicht gekauft hätte.

Cornelius W. M. Oettle

 Kartoffelpuffer

Die obligatorische halbe Stunde, die deutsche Rentnerehepaare zu früh am Bahnhof erscheinen.

Fabio Kühnemuth

 Tagtraum im Supermarkt

Irre lange Schlange vor der Kirche. Einzelne Gläubige werden unruhig und stellen Forderungen. Pfarrer beruhigt den Schreihals vor mir: »Ja, wir machen gleich eine zweite Kirche auf!«

Uwe Becker

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
22.09.2023 Mainz, Frankfurter Hof Max Goldt
23.09.2023 Mönchengladbach, Theater im Gründungshaus Max Goldt
24.09.2023 Aschaffenburg, Hofgarten Thomas Gsella mit Hauck & Bauer
26.09.2023 Bern, Berner Generationenhaus Martin Sonneborn