Humorkritik | August 2023
August 2023
»Der Gedanke an Unsterblichkeit ist komisch geworden. – Er bedeutet mir um kein Haar weniger.«
Elias Canetti

Ein Klassiker für Ferragosto
Wie sich in manchen Weinkellern unter vielen jungen Weinen dann und wann ein guter alter Jahrgang findet, so verbergen sich in den Untiefen des Netflix-Angebots einige italienische Filme aus den späten 50er- und frühen 60er-Jahren, der Einfachheit halber als romantische Komödien deklariert. Darunter sind auch Filme von Dino Risi, einem herausragenden Vertreter der Commedia all’italiana – und romantisch sind seine Komödien aus jener Zeit nun gerade nicht. Was sie verbindet, ist der Umgang mit ernsthaften Problemen auf eine frivole Art und Weise, die bisweilen beinah dystopisch anmutet.
»L’ombrellone« von 1965 – »Der Sonnenschirm« – ist typisch für das Genre, das in den freizügigen 70er-Jahren leider keine Fortsetzung fand. Der englische Titel »Weekend, Italian Style« verweist auf Filmerfolge von Pietro Germi und Vittorio De Sica: »Scheidung – «, »Hochzeit – « und »Verführung auf Italienisch«. In deutsche Kinos kam »L’ombrellone« anscheinend nicht.
Das italienische Wochenende erlebt Enrico, ein Geschäftsmann aus Rom, der äußerlich mit Hut und Pfeife nicht zufällig an Jacques Tatis »Monsieur Hulot« erinnert. Sein Treiben indes disqualifiziert ihn als Sympathieträger. Enrico besucht seine Frau in Riccione an der Adria, wo sie ohne ihn Ferien macht. Anfangs sehen wir ihn im offenen Sportwagen zu plätschernder Musik durch die fast leeren Straßen der Großstadt gleiten. Am Ziel erwartet Enrico nicht nur seine lebenslustige jüngere Gattin, sondern ein Meer von Sonnenschirmen, laute Sommerhits, ein grelles Inferno aus überfüllten Parkplätzen, Hotels, Restaurants, Tanzlokalen, Stränden, ja selbst das Meer ist voll. Es ist »ponte di ferragosto« – so nennt man in Italien den Höhepunkt der Sommerhitze (und der Feriensaison) um den 15. August.
Schlaflos und von Eifersucht getrieben muss Enrico nun an den Unternehmungen einer Gruppe von Urlaubern teilnehmen, der seine Frau sich angeschlossen hat; einer Gruppe, rastlos auf der Jagd nach dem unendlichen Spaß, der durch nichts begründet sein muss, um sich durch permanentes Gelächter zu legitimieren.
Schwer erträglich ist das allerdings nur für Außenstehende. Denn man kann das geschmacklose Treiben dieser alternden Vergnügungssüchtigen auch ganz anders sehen: als tollkühnen Versuch, wieder jung zu sein, ohne Furcht davor, sich unsterblich lächerlich zu machen – etwa, indem man einander mit Scherzartikeln begrüßt und spätestens auf der Tanzfläche bei Letkiss und Twist alle Reste romanischer Eleganz abstreift. Vieldeutigkeit ist das Schönste an den Komödien all’italiana und macht sie immer noch sehenswert. Man kann sie nämlich ebenso gut als bittere Zivilisationskritik deuten wie als Feier des besinnungslosen Augenblicks, als melancholischen Abgesang auf das alte Italien oder als Vorwegnahme des neuen, das Regisseur Risi offensichtlich nicht gefällt und dessen Zerrbild er pausenlos mit den schlichtesten Hits des Twistzeitalters unterlegt, um deren optimistische Botschaften optisch zu dementieren: »Sulla sabbia c’era lei c’era lei / ma nell’acqua c’era lui …« (»Auf dem Sandstrand, da war sie, da war sie / doch im Wasser, da war er …«)
Die Coverversion von Drafi Deutscher (»Heute male ich dein Bild, Cindy Lou / und ich brauche dich dazu …«) hat damit so viel zu tun wie der deutsche Verleihtitel mit Dino Risis Meisterwerk »Il sorpasso«: »Verliebt in scharfe Kurven.«