Humorkritik | April 2023
April 2023
»You have to play it straight. In comedy, the moment the audience sees that you know what the joke is, it’s over. They’re not gonna laugh.«
Leslie Nielsen
Sinnverweigerungspsalm
In keinem seiner Bücher, vielmehr in einem Zeitmagazin-Artikel über den ölmalenden Robert Gernhardt (»Hier spricht der Maler«, Ausgabe vom 13.9.1985) finde ich eine Definition von »Nonsens«, die der Verfasser Dieter E. Zimmer offenbar eckermannmäßig mitstenografierte:
»Nonsens ist eben kein bloßes Witzeln. Nonsens braucht mehr Raum. (…) Er braucht ein System, ein Denksystem oder ein Reimsystem, das Sinn produzieren möchte und dem der Sinn verweigert wird. Der Leser oder Zuschauer muß erst einmal in eine ihm sinnvoll erscheinende Struktur hineingelockt werden, und dann muß sich ihm der Sinn entziehen.«
Brauchbare Sätze! Präzise erläutern sie nicht nur das Prinzip vieler Texte Gernhardts, wie sie sich etwa in den Sammelbänden »Die Wahrheit über Arnold Hau« oder »Die Blusen des Böhmen« finden, sie charakterisieren auch einige Textstellen jenes Popsongs, dem sich jüngst ein ganzer Kinofilm widmete: »Hallelujah« von Leonard Cohen. Man nehme etwa die berühmte Anfangsstrophe: »Ich hörte, da gab’s ’nen geheimen Akkord, den David spielte und der Gott gefiel. Aber du interessierst dich nicht für Musik, was? Der Akkord ging so: tiefe Quinte, hohe Sexte, als der verwirrte König ein Hallelujah komponierte.« Wenn der Akkord geheim war, wieso weißt du dann, wie er ging? Wenn dein Gegenüber sich nicht für Musik interessiert, wieso skizzierst du ihm dann den Akkord? Der harfespielende David war doch noch Hirte, und er musste dem depressiven König Saul vorspielen – nun ist David also schon König, aber Harfe spielt er immer noch? Und komponiert ein »Hallelujah«, obwohl dieses Wort zwar im Buch der Psalmen oft vorkommt, aber ausgerechnet in jenen Psalmen, die von David stammen sollen, nicht? All diese Fragen klären sich, legen wir dem Text sein Rezept zugrunde: »In eine sinnvoll erscheinende Struktur hineinlocken und dann den Sinn entziehen.«
Sicher feststellen lässt sich, dass Cohens Song zumindest drei Traditionen fortsetzt. Erstens die der Vielstrophigkeit, welche »Hallelujah« mit Volksliedern, barocken Chorälen, aber auch den Kabarett-Couplets z. B. eines Otto Reutter verbindet. Bei Aufführungen wird dabei stets nur eine Handvoll der unzähligen Strophen dargeboten (im Falle von »Hallelujah« nennt der Film die Zahl 180). Zweitens: die Tradition, Strophe und Refrain möglichst gegensätzlich zu halten – bekannt v. a. aus den Filmschlagern der 30er- und 40er-Jahre (»Lied und Tango« lautet da etwa der Untertitel eines Stückes, wobei »Lied« die Strophe, »Tango« den Chorus meint; analog könnte man bei Cohen den Untertitel »Strophen mit viel Hin-und-Her-Rhetorik und softer Mitsing-Chorus« einsetzen). Drittens die Poptradition, derzufolge der Text großteils ohnehin überhört wird; schließlich wird »Hallelujah« regelmäßig auf Hochzeiten dargeboten, wobei die Zeilen »All I ever seemed to learn from love / Is how to shoot at someone who outdrew you« anstandslos durchrutschen.
Hinzufügen möchte ich die These, dass sich Cohen, dem seine Fans durchaus Humor und Selbstironie attestier(t)en, anscheinend auch als Nonsens-Autor versuchte (die Stelle »There’s a mighty judgement coming, but I may be wrong« aus »Temple of Song« passt ebenfalls hierher); freilich, ungefähr seinen Klavierspielkünsten entsprechend, auf überschaubarem Niveau.