Humorkritik | April 2023

April 2023

»You have to play it straight. In comedy, the moment the audience sees that you know what the joke is, it’s over. They’re not gonna laugh.«
Leslie Nielsen

Jagger wie Hose

Der Comedian Olaf Schubert (Heute-Show, Karo-Pullunder) räumt seinem verwitweten Vater den Keller auf und findet ein altes Tonband, auf dem die eben verstorbene Mutter Mick Jagger interviewt. »Unglaublich!«, denn: Das Interview ist von 1965, und die Mutter war damals zwar Mitarbeiterin des DDR-Rundfunks, durfte aber dennoch nicht einfach so in den Westen zum Rolling-Stones-Konzert, die waren nämlich »verboten oder irgendwas«. Wie kam es dazu? Warum hat Mutti nie von diesem Interview erzählt? Der Sohn forscht nach, befragt erst den ahnungslosen Vater, dann den Sänger der Ostband »City«, welcher Jagger in den Sechzigern fast kennengelernt hätte. Die Recherche führt Schubert zur Halle Münsterland, in der die Stones 1965 aufgetreten sind; im Münsteraner Stadtmuseum taucht ein Konzertfoto auf (»Das is meine Mutter! Unfassbar!«), und später berichten zwei Ex-Groupies, Mama sei nach dem Konzert sogar backstage gewesen. Schließlich findet der Sohnemann in der Stasi-Akte der Verstorbenen seine Geburtsurkunde sowie einen Bericht des zuständigen IM, es werde »von verschiedenen Quellen« bezweifelt, dass Schubert senior »der Vater des Kindes« sei: »Das ist noch mal ’ne ganz andere Wendung!«, und wer den Titel dieser Fake-Doku bis dahin nicht vergessen hat (»Olaf Jagger«, Regie: Heike Fink), der war auf die Volte vorbereitet: Schubert ist vielleicht möglicherweise eventuell der Sohn von Mick Jagger!

Unglaublich, unfassbar. Bleibt nur die Frage, warum ich dafür eineinhalb Stunden im Kinosaal sitzen soll. Ein vom Leben gestrafter Versager, der sich an die Hoffnung klammert, der Sohn einer Berühmtheit zu sein: Dieses Drehbuch verstünde ich. Aber Olaf Schubert ist kein solcher Versager, er spielt auch keinen, sondern bleibt seine eigene Kunstfigur: ein bundesweit bekannter, mutmaßlich ausgesorgt habender Comedy-Star, der (auch im Film) überall erkannt wird, für Selfies posiert und sich freut, wenn er in der Zeitung steht. Wird er zwischendurch gefragt, was ihm als Sechsjährigen ein berühmter Vater genützt haben würde, heißt es: »Mehr Optionen … und ja, man wäre jetzt nicht, sag ich mal, so ’n Zonen-Spacko geworden.« Ein Zonen-Spacko mit ausverkauften Hallen und TV-Präsenz, sag ich mal, für den eine jaggerlose DDR-Biografie natürlich die viel bessere Aufstiegsgeschichte wäre; bzw. ist. Wenn Schubert senior, der »echte« Vater, wenigstens ein Ekelpaket wäre, das man gegen einen Rock-Daddy austauschen möchte! Es ist aber ein netter älterer Herr, mit dem sich der Sohn, abgesehen von familiären Kabbeleien im Baumarkt und am Küchentisch (»Andere Generation. Die machen eben erst mal ’n Kaffee«) leidlich gut versteht. Nicht mal als besonders großer Stones-Fan wird Schubert charakterisiert. So hopst diese Mockumentary, bei der man bis zum Schluss nicht versteht, worüber sie mockt, von Station zu Station, lässt Olaf Schubert eine Jagger-Locke aus einem privaten Museum klauen, erfolglos an Micks französischem Chateau klingeln und immer wieder Verblüffung simulieren über diese ganz und gar verrückte Geschichte, die ihm da widerfährt. Ein paar lakonische Dialogzeilen machen milde lächeln. Ich habe mich schon amüsanter gelangweilt.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt