Humorkritik | November 2022
November 2022
»Das ist ja oft das falsch Verstandene an Komödien: Wenn man selbst komisch sein will, wird das nichts. Man muss so ernst wie möglich spielen, ganz nah an der Katastrophe vorbei. Erst daraus entsteht der Witz.«
Uschi Glas
Die grobe Gesellschaft
Da das Groteske eine so seltene Spielart des Komischen geworden ist, verdient es Bruno Dumonts Film »Die feine Gesellschaft«, von mir erwähnt zu werden. Es ist kein guter Film – dafür ist er eine halbe Stunde zu lang –, aber er hat gute Momente.
Auf den ersten Blick klingt die Geschichte nicht originell: Die Reichen machen Ferien, die Armen rackern sich ab. Das war schon so im Jahr 1910 an der französischen Atlantikküste. Oben residiert die Familie van Peteghem in einem Ferienhaus »im ägyptischen Stil«, unten vegetiert eine Familie mit dem sprechenden Namen Brufort. Sie lebt vom Muschelsuchen und dem Transport der Reichen, die sich bei Niedrigwasser über eine Flussmündung tragen lassen. Irritierend ist zunächst, dass die Darsteller der Reichen chargieren wie erzdumme Auguste oder Stummfilmstars, während die Armen mit unbewegter Miene wie Weißclowns ihrem Tagwerk nachgehen. Gespiegelt wird dieser krude Gegensatz in einem Paar Polizisten, einer dicker als Oliver Hardy, der andere doofer als Stan Laurel.
Die beiden sollen ermitteln, wo die Feriengäste geblieben sind, die in immer kürzeren Abständen vermisst werden. Sie geben gleich zu Anfang der Geschichte den brachial-komischen Ton vor, als der Dicke den Abstieg von einer Düne rollend bewältigt. Hinfallen wird er im Verlauf der Geschichte noch häufiger, aus eigener Kraft aufzustehen ist ihm unmöglich. Am Ende aber fliegt er davon, schwerelos wie ein Ballon.
Solchen Slapstickelementen nimmt Dumonts Drehbuch am Wendepunkt einiges von ihrer komischen Wirkung, da der Zuschauer erfährt, dass die Vermissten von der Familie Brufort erschlagen, gekocht und gegessen werden – eine Szene, die sensibleren Betrachtern den Magen umdrehen kann. Auch die Romanze des ältesten Sohns, der von allen »Lümmel« genannt wird, mit dem androgynen Kind der van Peteghems endet beinahe im Kochtopf, nachdem Lümmel herausgefunden hat, dass es sich bei dem Mädchen, in das er verliebt ist, um einen Knaben handelt.
Man kann in Dumonts Film durchaus eine böse Parodie auf Dany Boons Erfolgskomödie »Willkommen bei den Sch’tis« sehen, man kann an Luis Buñuels »Der diskrete Charme der Bourgeoisie« oder die sinistren Kriminalfilme Claude Chabrols denken, man kann auch ins Kino gehen und Brad Pitt bei seiner atemlosen Jagd durch den »Bullet Train« zuschauen – ich fühlte mich angesichts der brutalen Effekte und der grob gestrickten Gegensätze an Pierre Bourdieu, den Autor der »feinen Unterschiede«, erinnert, der die Soziologie einmal als eine Form der »Martial Arts« definiert hat, da sie vor allem der Selbstverteidigung dient.