Humorkritik | Mai 2022

Mai 2022

»Unsre Zeit ist eine Parodie aller vorhergehenden.«
Friedrich Hebbel

Deutscher Filmpreis 2022

Alle Jahre wieder wird der Deutsche Filmpreis vergeben, im vergangenen Jahr (siehe TITANIC 8/21) wurde eine Komödie prämiert: »Ich bin dein Mensch« bekam Lolas als bester Film, für die beste Regie, das beste Drehbuch und die beste Hauptdarstellerin – die Konkurrenz war schwach. In diesem Jahr ist sie noch schwächer.

Mag sein, die Dreharbeiten unter Corona-Bedingungen haben dazu geführt, dass hauptsächlich Kammerspiele entstanden sind, die auf mein Unterhaltungsbedürfnis wenig Rücksicht nehmen. »Alles in bester Ordnung« von Natja Brunckhorst ist dafür das beste Beispiel: Ein Rumpelkammerspiel, das einen Computerspezialisten in eine Messie-Vorhölle schickt, deren Bewohnerin den Ordnungsfanatiker zu der Erkenntnis bringt, dass auch die Mathematik keine exakte Wissenschaft ist. Der weitgehende Verzicht auf Handlung kommt dem sparsamen Dialog zugute, der über weite Strecken immerhin angenehm lakonisch klingt. Ein Zuviel an Handlung bietet dagegen »Das schwarze Quadrat«. Der Autor und Regisseur Peter Meister stellt zwei Bilderräuber – es geht tatsächlich um den ikonischen Malewitsch – auf einem Kreuzfahrtschiff vor immer neue Probleme, beginnend damit, dass die beiden, um überhaupt an Bord zu kommen, zwei Passagiere außer Gefecht setzen müssen, die, so stellt sich heraus, zum Entertainmentprogramm gehörten und als David-Bowie- bzw. Elvis-Presley-Double gebucht waren. Damit ist der Schritt zur Groteske zwar getan, doch Meister vergisst, dass Situationskomik erst vor einem ernst zu nehmenden Hintergrund recht zur Entfaltung kommt. Seine Figuren benehmen sich indes alle mehr als merkwürdig, und die Wirkung verpufft, das Interesse erlahmt, die Komik bleibt auf der Strecke. Ähnliches gilt für Leander Haußmanns »Stasikomödie«. Auch hier ist der Rahmen – ein ehemaliger Mitarbeiter bringt seine Stasi-Akte, in der sich u.a. ein kompromittierender Brief befindet, mit nach Hause – durchaus vielversprechend, die Füllung indes schwer genießbar. Wäre die Staatssicherheit tatsächlich ein so debiler Haufen gewesen, die DDR hätte nicht so lange Bestand gehabt. Erich Mielke als infantiler Barockfürst mit Allongeperücke mag auf dem Theater Spaß machen; umgeben von lauter Karikaturen gibt er der ohnehin schon mürben Filmhandlung, zu der laut Abspann auch der ewige Constantin-Dramaturg Herman Weigel beigetragen hat, den Rest.

Marcus H. Rosenmüllers Bademeisterschwank »Beckenrand Sheriff« ist eigentlich nicht der Rede wert, beweist jedoch, dass Milan Peschel, der ein hervorragender zweiter Mann in Komödien sein kann, als Leading Man überfordert ist. Welcher deutsche Komiker diesen Film voller Gags, die schon in den 70er Jahren ihre Blütezeit hinter sich hatten, hätte tragen können, will mir freilich ums Verrecken nicht einfallen.

Beim Kinopublikum beliebt waren zwei der Nominierten. Über »Contra«, die deutsche Adaption einer französischen Erfolgskomödie, habe ich schon geurteilt (TITANIC 1/2021). Der zweite, »Wunderschön« von Karoline Herfurth, gehört zum Genre verfilmter Ratgeberliteratur, besteht mindestens zur Hälfte aus überraschungsfreien Collagen und ist damit vor allem eines: wunderschön langweilig.

Eine sogenannte »Wildcard« hat ein Film bekommen, der das Thema Komik behandelt: »Stand up – Was bleibt, wenn alles weg ist«, die Geschichte eines Comedians, der seine Glanzzeit hinter sich und ein Leben mit Korsakow-Syndrom, also alkoholbedingter Demenz, vor sich hat. Allerdings konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie der Hauptdarsteller, Timo Jacobs, je ein Publikum zum Lachen gebracht haben sollte, was weniger an der Qualität der Witze liegt als an der Art seines Vortrags. Zugutehalten möchte ich dem Film, dass er wohl gar keine Komödie sein will. Und damit aus meinem Zuständigkeitsbereich fällt.

Mein Favorit im diesjährigen Rennen ist kein Außenseiter, er wurde schon bei der Berlinale ausgezeichnet, zu Recht: »Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush«, Andreas Dresens trockene Nacherzählung der Geschichte einer türkischen Mutter, deren Sohn jahrelang in Guantánamo festgehalten wird. Wie Frau Kurnaz ihrem Sohn mit Hilfe eines sehr bremischen Anwalts zu seinem Recht verhilft – diese Mischung aus kohlhaasscher Konsequenz und igelanter Widerborstigkeit hat erstaunlich viele komische Momente, die vor allem der Hauptdarstellerin Meltem Kaptan zu verdanken sind, deren Spielfreude ansteckend wirkt und die wahre Geschichte glaubwürdig erscheinen lässt. Dass das Leben heuer für das beste Drehbuch verantwortlich zeichnet, ist allerdings kein gutes Signal.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner