Humorkritik | Mai 2022
Mai 2022
»Unsre Zeit ist eine Parodie aller vorhergehenden.«
Friedrich Hebbel
Das schönere Deutschland
Mumblecore ist laut Wikipedia ein in den USA entstandenes Subgenre von Independent-Filmen, das sich durch improvisierte Dialoge, Laiendarsteller und minikleine Budgets definiert. Dass sich solche Formate in den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen finden, die ja nicht sprichwörtlicherweise ein Hort der Experimentierlust sind, ist an sich schon eine gute Nachricht. So manches Mal nämlich lässt sich dabei Schönes entdecken. Jüngstes Beispiel ist eine Miniserie bzw. »Short Dramedy« (acht Episoden, keine länger als zehn Minuten) namens »All in«.
Entstanden ist »All in« als Arbeit der Filmakademie Ludwigsburg, und so spielen auch die Straßen dieser kleinbürgerlichen Stadt eine nicht unwichtige Nebenrolle. Da treffen zwei Loser in einer Kneipe aufeinander: der indischstämmmige Jamu, dessen Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist (Daniel Popat, auch Drehbuch-Koautor), und Automatenspieler Uwe (Heiko Pinkowski), den seine Frau aus der Wohnung geschmissen hat. Zusammen versuchen sie, ihre jeweilige Situation zu bewältigen, aber jeder ihrer Schritte macht die Sache nur noch schlimmer, ganz im Sinne des Untertitels der Serie: »Immer mit beiden Beinen in der Scheiße«. Dabei agieren die zwei Helden so unverfroren und unüberlegt, wie man nur in größter Verzweiflung agieren kann. Und obwohl man als Zuschauer auf ihrer Seite ist, sind sie keineswegs immer sympathisch. Jamu, auf der Suche nach einer Braut, kommentiert den Vorschlag, Uwes Tochter zu heiraten, mit den Worten »Die sitzt im Rollstuhl. Wie soll ich die heiraten?«, und wie er bei einer Hotel-Massage zum Höhepunkt kommt, das ist gleichzeitig komisch und auch sehr befremdlich anzusehen. Uwe hingegen schreckt nicht davor zurück, Jamu an einen Freier zu verkaufen, um den Tank des Fluchtwagens wieder füllen zu können. Aber sie sind einander nie lange böse, diese zwei nervigen Outlaws, und irgendwann, nach jeder Menge sehr merkwürdiger Screwball-Momente, sitzen sie wieder im Wagen, Jamu in Handschellen auf dem Beifahrersitz: »Was wird denn das für ’ne Flucht hier?« – »Fahr du doch!« – »Na wie denn?!«, und man steuert in Ermangelung einer besseren Idee Richtung Mallorca: »Ich hab mal gehört, dass das das schönere Deutschland ist. Da gibt’s alles umsonst. Und Delfine … Da geht’s allen Deutschen gut.«
Nicht allen Deutschen, aber gewiss mir ging es nach dieser Serie sehr gut. Folge 7 ist im Moment noch in der ARD-Mediathek zu sehen; den Rest kann man sich hoffentlich anderweitig beschaffen.