Humorkritik | Mai 2022

Mai 2022

»Unsre Zeit ist eine Parodie aller vorhergehenden.«
Friedrich Hebbel

Plötzlich Präsident

Größere Aufmerksamkeit, wenn auch aus unerfreulichem Anlass, erhielt in den letzten Wochen die ukrainische Polit-Comedy-Serie »Diener des Volkes« (2016), in der Wolodymyr Selenskyj die Hauptrolle spielt, genauer: den Geschichtslehrer Wassyl Holoborodko. Dieser wird nach einer herzhaften Tirade gegen das korrupte politische System, die von einem Kollegen gefilmt und ins Netz gestellt wird, zum Präsidenten gewählt. Neben den offensichtlichen Parallelen zur späteren Realität – Selenskyj wurde 2019 wirklich Präsident, seine Partei trägt den Namen der Sitcom – hat die Serie aber auch in komischer Hinsicht Aufmerksamkeit verdient.

Viel Witz speist sich aus dem Kontrast, den der Milieuwechsel mit sich bringt: Der aus einfachen Verhältnissen stammende Geschichtslehrer muss im Schnelldurchlauf mit der Etikette und den Gepflogenheiten höchster politischer Ämter vertraut gemacht werden. Wo der Ministerpräsident, der den Neu-Präsidenten in seine künftige Lebenswelt einführt, von diesem wissen möchte, was ihm besser gefalle, Patek Philippe oder doch Vacheron Constantin, weiß er nur zu antworten, er habe beide nicht gelesen – »keine Zeit«. Zum Training gehört auch die korrekte Begrüßung, die vor eher mittelmäßigen Doppelgängern der jeweiligen Länderchefs geübt wird, u.a. einem Merkel-Double. Das Händeschütteln, so der Ministerpräsident, müsse hier sachte erfolgen, die Dominanz bei Angela Merkel belassen werden, davon hänge schließlich die nächste Hilfszahlung der Bundesbank ab. Als sich der vom Grüßaugust-Spielen sichtlich erschöpfte Wassyl beim Eintritt des Lukaschenko-Doubles aus seinem Sessel erheben möchte, wird er daran mit sanfter, aber entschiedener Geste gehindert: »Nicht nötig.« Denkwürdig auch, wie die griechischen Geschichtsschreiber Plutarch und Herodot am Bette des schlafenden Wassyl über ihn wachen und seine Situation debattieren: Immerhin, so stellt man fest, sei er nun Präsident des größten Ölförderlandes der Welt. Was gleich vom im Schlaf redenden Wassyl korrigiert wird: Es handele sich natürlich um Sonnenblumenöl.

Ohne Pathos kommt die Serie dann aber doch nicht aus. Bei den Familienszenen kippt es mitunter in Richtung Schmonzette, und wenn Wassyl bei der Antrittsrede auf ein Skript verzichtet, frei von der Leber weg erklärt, alles werde gut, und dabei auch das Versprechen an einen ehemaligen Schüler hält, die Rede mit einem Freudensprung zu beenden, wünscht man sich doch einen kleinen komischen Bruch. Es reicht schließlich das Pathos der Realität.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
11.12.2023 Frankfurt, Stalburg-Theater Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige
12.12.2023 Frankfurt, Stalburg-Theater Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige
15.12.2023 Oelde, Haus Nottbeck Heiko Werning & Brauseboys
18.12.2023 Frankfurt, Mousonturm Max Goldt