Humorkritik | Dezember 2022

Dezember 2022

»Zwei ähnliche Gesichter, von denen keines für sich allein lächerlich wirkt, reizen gemeinsam durch ihre Ähnlichkeit zum Lachen.«
Blaise Pascal

Tödliche Funkstille

Zu den Dingen zwischen Himmel und Erde, die ernst gemeint sind und komisch verstanden werden können, gehört die Science-Fiction – sogar mehr als manches andere, weil der Abstand der ausgepinselten Zukunft zur Gegenwart und deshalb die Fallhöhe groß ist. D. h. so groß, dass die Utopie noch realistisch scheint, und das Romänchen »Die Maschine steht still« des Engländers E. M. Forster (bei Hoffmann und Campe 2016 übersetzt von Gregor Runge) erfüllt diese Bedingung heute sogar besser als 1909, als es erstmals erschien.

Die Menschen heißt man zwar noch nicht Nerds, aber sie verlassen fast nie ihre Wohnungen, in denen wie von selbst Musik erklingt und auf Knopfdruck sich die Badewanne füllt. Statt auszugehen – wozu auch, »die Erde sah überall gleich aus« –, sprechen die Leute über eine Scheibe in ihren Händen mit ihren »Abertausenden Bekannten«, denn, Vorsicht Ironie!, »in gewissen Bereichen konnte die menschliche Kommunikation erhebliche Fortschritte verzeichnen«; ein anderer Knopfdruck, und »die Anfragen der letzten drei Minuten« werden abgerufen: »Wie ist das neue Essen? Hast du Ideen gehabt in letzter Zeit? Kann ich Ihnen eine Idee erzählen? Wollen Sie« – usw. usf. Der Unterschied zur Realität besteht bloß darin, dass so was heute im Ernst geschieht.

Nicht bloß das (Wieder-)Erkennen unserer eigenen ulkigen Zeit bereitet Vergnügen, das Büchel hat explizit komische, filmreife Momente, z. B. wenn die Heldin Vashti (ein »Fleischberg, etwa anderthalb Meter groß, mit einem Gesicht wie ein Pilz«) gesprächsweise »Mir ist unwohl« sagt: Prompt »fiel aus der Zimmerdecke ein gewaltiger Apparat, der ihr ein Thermometer in den Mund und ein Stethoskop auf die Brust schob«.

Das Leben 2022 lenken Computer, im Roman von 1909 ist es »die Maschine«. Fortschritt 2022 heißt digitaler Fortschritt, im Roman heißt es: »Wer ›Fortschritt‹ sagte, meinte den Fortschritt der Maschine.« Aber zum Computer gehört der Crash und zur Maschine der Maschinenschaden, sie bleibt stehen. Was nun, Vashti? »Nie hatte sie erfahren, was Stille ist, und da es nun völlig still wurde, starb sie beinahe daran – tatsächlich fielen Tausende Menschen auf der Stelle um.« Denken Sie einmal daran, wenn Ihr Smartphone kaputt ist!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg