Humorkritik | Dezember 2022
Dezember 2022
»Zwei ähnliche Gesichter, von denen keines für sich allein lächerlich wirkt, reizen gemeinsam durch ihre Ähnlichkeit zum Lachen.«
Blaise Pascal
Masse und Markt
Mit einiger Verspätung habe ich jetzt Dave Chappelles Netflix-Special »The Closer« gesehen, das ihm, wegen als transfeindlich empfundener Witze und Einlassungen, ähnlichen Ärger (wenn auch, liebe Fans des Cancel-Feindbilds, beileibe kein Berufsverbot) eingetragen hat wie Ricky Gervais dessen Netflix-Programm »Supernature« (siehe TITANIC 1/2022). Gervais hatte zwischen Künstler und Privatperson unterschieden: »Like a joke is a window to the comedian’s true soul. That’s just not the case.« Es gehe allein um den Witz: »I’ll take on any view to make the joke funniest.« Chappelle ganz ähnlich: »I don’t punch down. I don’t punch up. I punch lines.« Beide also, vermutlich ohne es zu wissen, Fans von Jean Paul: »Satire wohnt in meiner Feder, nicht auf meiner Zunge, nie in meinem Herzen.«
Man wird mir glauben, dass ich der Letzte bin, der das Prius des guten Witzes und den Kunstvorbehalt nicht verteidigen würde. Trotzdem scheint mir diese Selbstimmunisierung in beiden Fällen problematisch, um nicht zu sagen scheinheilig, weil die ausgestellte Autonomie nicht hindert, dass das Publikum rast. Die strenge Kunstlogik lässt sich hier von der marktwirtschaftlichen gar nicht unterscheiden: Ein Produkt wird gekauft oder eben nicht, und wenn es gekauft wird, taugt es.
Freilich, und Gervais weiß es, kaufen die Leute auch sehr gern Scheiße, und wenn ich mal (TITANIC 12/2014) von Harald Schmidts Polenwitzen sagte, sie hätten auf einer Metaebene gespielt, »wo die Beziehung zwischen Vorurteil und Witz selbst verhandelt wird«, und das gegen eine Kopftuchbemerkung D. Nuhrs in Stellung brachte, die »allein plan paraphrasiertes, ›komisch‹ drapiertes Ressentiment« vorstelle – dann stehen Gervais und Chappelle zumal darum nicht näher bei Nuhr als bei Schmidt, weil sie Bühnenfiguren sein wollen. Das will, im Gespräch mit der Süddeutschen (29.10.), Mario Barth allerdings genauso, dem Non-binäre, sagt er, privat »egal« sind. Auf der Bühne, s.o., natürlich nicht: »Wahnsinnig viele Menschen finden lustig, was ich tue.« Einen davon hören wir: »Das mit dem Gendern war super. Hoffentlich macht er noch was über Veganer!« Ein »Wir gegen die«-Konzept sah der Reporter da, und to make the joke funniest ist für einen Comedian sicher kein illegitimes Ziel. Die Frage bleibt, was das heißt, und bei der Antwort wäre der Umstand zu prüfen, dass die Mehrheit dazu neigt, unrecht zu haben.