Humorkritik | Dezember 2022
Dezember 2022
»Zwei ähnliche Gesichter, von denen keines für sich allein lächerlich wirkt, reizen gemeinsam durch ihre Ähnlichkeit zum Lachen.«
Blaise Pascal
Das morsche Holz des Kopfes
Akademische Fachliteratur entzieht sich in der Regel meiner Zuständigkeit, eine Ausnahme mache ich für das jüngste Werk des emeritierten Literaturwissenschaftlers Franz Stanzel. Entstanden ist dieses als »Opus Ultimum« angekündigte Buch im Lockdown, den der 99jährige Verfasser als ehemaliger »Prisoner of War« historisch einzuordnen weiß: »Wie viel düsterer waren da die Aussichten eines Kriegsgefangenen!«
Anders als Stanzels Erzähltheorie dürfte dieses an der Grenze zur Selbstparodie mit »Gratwanderung zwischen Facta und Ficta« betitelte Buch keine acht Auflagen erleben; ein Fall für die Humorkritik ist die Mischung aus Lebensbilanz und angestaubten Fachaufsätzen allemal. Dafür sorgen neben viel Klassenfahrtsprosa (»Eine Einladung zu einer Gastprofessur an die Universität von St. Andrews bot dann auch Zeit und Gelegenheit für vertiefende Kenntnisnahme des Landes«) und akademischer Schwurbelei (»Eine solche Quadratur wäre aber nur unter Verzicht auf die begriffliche Quintessenz des Kreisdiagramms, nämlich die grenzenlose Kontinuität oder Liminalität des Nebeneinanders aller denkbaren Erzählformen, möglich«) vor allem zahlreiche Granteleien: Als »last man standing« teilt Franz »Grump« Stanzel nicht nur gegen längst verblichene Rivalen aus, die ihn in den 50er-Jahren kritisiert oder ihm bei Fachtagungen Redezeit verweigert haben, sondern auch gegen jene insubordinanten Subjekte, die eine Vorlesung des damals 85jährigen nicht im Hauptteil des Vorlesungsverzeichnisses plazieren wollten, »wo ich sie angesichts der zentralen Bedeutung dieses Themas für jedes literaturwissenschaftliche Studium eigentlich vermutete«. Zur Erheiterung tragen auch Privatfotos bei (»Verf. vor seiner Morschholzskulptur ›Wotan‹«), vor allem aber deren vor Sendungsbewusstsein strotzende Bildunterschriften (»An der Wand u.a. Ehrendoktordiplome Uni. Freiburg CH und Marburg D.«).
Dass »vanitas« und »memento mori« im Zusammenspiel erstaunliche Angst- und Stilblüten produzieren, weiß man vom unverzagt publikationsfreudigen Martin Walser; allerdings wäre nicht mal der darauf gekommen, die eigene Nabelschau »der Nachwelt vielleicht auch als Rezept für die Bewältigung kommender Krisen (Klima?!)« ans Herz zu legen. Ein 13seitiges Verzeichnis sämtlicher Schriften des Verfassers rundet dieses kleine Strohfeuer der Eitelkeiten ab, das Stanzel »nach eingehender Befragung meiner altersbedingten Leistungsfähigkeit« ohne größere Überarbeitungen in den Druck geschickt hat. Dafür sagt Mentz besten Dank!