Humorkritik | August 2022

August 2022

»Die höchste Lebensspanne des Menschen beträgt hundert Jahre, die mittlere Lebensspanne beträgt achtzig Jahre, die geringe Lebensspanne beträgt sechzig Jahre; abgesehen von Zeiten, in denen man an Krankheiten leidet, um Todesfälle trauert oder sich um Gefahren sorgt, bleiben höchstens vier oder fünf Tage im Monat, an denen man den Mund öffnet und lacht – das ist alles.«
Zhuangzi

Lacht der Rest der Welt anders?

Komisches Talent hat nicht jeder; aber wohl Humor, die Fähigkeit, Komisches wahrzunehmen. Schon der frühe Mensch wird sich beömmelt haben, wenn der Klassen- bzw. Stammeskasper den Häuptling parodierte. Aber ist die artifizielle wie die selbstgemachte alltägliche Komik überall auf dem Planeten die gleiche in Inhalt, Form und Tempo? Oder ist es kein Zufall, dass das erste Großwerk des literarischen Nonsens, der Kurz- und Quatschroman »Der Finckenritter«, just im wild aufgeblühten, religiös, sozial und frühkapitalistisch wie verrückt durchgeschüttelten Deutschland des 16. Jahrhunderts geschrieben wurde? Dass es zu Monty Python ausgerechnet in England kam, als es gerade seiner Weltherrschaft, seines Sinns und seiner Bedeutung verlustig ging? Bei der Lektüre der voluminösen Studie des Amerikaners Joseph Henrich über »Die seltsamsten Menschen der Welt. Wie der Westen reichlich sonderbar und besonders reich wurde« (Suhrkamp) drängen sich irgendwann solche Fragen auf. Ist der Westen auch besonders komisch?

Leider ist Henrich nur sonderbar ernst und auf 1000 Seiten nichts als das: Eine Antwort ist bei ihm nicht zu finden. Zu finden ist, dass sich der Westen über das spätantike Christentum, die Reformation und die Industrielle Revolution des 18. Jahrhunderts auf einen Sonderweg begeben hat. Damit kann man es immerhin selbst versuchen: Die in der Spätantike bzw. der Reformation gekappte Bindung an die Autorität der Sippe bzw. der Religion macht den Einzelnen mobil und seinen Kopf frei, auch für Lustiges; die Konkurrenz im Kapitalismus nötigt die Leute, ständig Neues zu erfinden, auch neu zu Belachendes (statt wie im klassischen Orient bloß die Tradition zu pflegen); zudem zwingt die Beschleunigung des Arbeits- und sonstigen Lebens die komische Kunst, »hell und schnell« (Christian Morgenstern) zu sein und immer heller und schneller zu werden. Die logische Pointe: Wenn auch Osten und Süden zum Westen geworden sind, wird überall auf dieselbe Weise Komik gemacht und belacht werden – also jetzt noch nicht.

Das müsste nur bewiesen und mit mehr als zwei Beispielen belegt werden. Ich frage mal in die Runde: Macht sich jemand an die Arbeit?

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg