Humorkritik | August 2022
August 2022
»Die höchste Lebensspanne des Menschen beträgt hundert Jahre, die mittlere Lebensspanne beträgt achtzig Jahre, die geringe Lebensspanne beträgt sechzig Jahre; abgesehen von Zeiten, in denen man an Krankheiten leidet, um Todesfälle trauert oder sich um Gefahren sorgt, bleiben höchstens vier oder fünf Tage im Monat, an denen man den Mund öffnet und lacht – das ist alles.«
Zhuangzi

Grenzen des Kriminellen
Lobenswert an Sybille Ruges Debütroman »Davenport 160 x 90« ist ihr Stilbewusstsein, der Plot ist wie in den meisten guten Kriminalromanen nicht so wichtig. Erzählt wird streng aus der Perspektive der ermittelnden Person, die hier Slanski heißt. Die stellt sich auf den ersten Seiten vor; bemerkenswert unsentimental und im Stil der hartgesottenen Detektive, die von Raymond Chandler und Dashiell Hammett erfunden wurden. Dass Slanski mit Vornamen Sonja heißt und eine Frau ist, spielt für Ruge nur insofern eine Rolle, als sich ihre Heldin noch weniger wehleidig anstellt als die vorbildlichen Männer. Ihrem Motto bleibt sie zunächst treu: »Konsequenz schafft Klarheit«. Erst auf Seite 88 gibt es eine Leiche – und damit geht ein Ruck durch den Roman, der ernste Folgen hat: Denn Ruges Sprache, bis dahin angenehm flapsig und vor schrägen Vergleichen nicht zurückscheuend, wird plötzlich pathetisch. Mit schwülstigen Metaphern überladen, versteigt sie sich zu Aphorismen, die feierlich klingen sollen und in diesem Genre eben nicht mehr feierlich sind. Als wäre das nicht schlimm genug, lässt sie dem sinnbildlichen Überangebot auch noch Erklärungen folgen, die nicht gerade von Vertrauen in die Auffassungsgabe der Leserschaft zeugen. Dazu kommen feuchte Träume, wie sie peinlicher keine Männerfantasie ersinnen könnte.
Kurz: Sybille Ruge versucht, die Grenzen des Genres zu erweitern, und landet dabei in den humorfreien Zonen deutscher Befindlichkeitsliteratur. Und damit habe ich ja zum Glück nichts zu tun.