Humorkritik | April 2022
April 2022
»Der Sommer ist eine Jahreszeit, die nicht der Komik entbehrt.«
Gustave Flaubert
(an Turgenew, 1.6.1874)
Tütül lüchürlüch
Es geht um »Fremdheitserfahrungen, Identität, Politik«. Das muss so sein, das steht klar und deutlich auf dem Buchumschlag, die Literaturkritik hat es ihrerseits fein säuberlich herausgearbeitet, und der Autor hat’s auch gesagt. Doch wenn dieser Tomer Gardi etwas behauptet, ist Vorsicht geboten. Gardi, 1974 in Israel geboren, in Berlin wohnhaft, schreibt seine Bücher entweder auf Hebräisch (und lässt sie dann von der famosen Anne Birkenhauer übersetzen) oder in jenem »Broken German«, das seinem zweiten Buch den Titel gab und an Feridun Zaimoglus »Kanak Sprak« erinnert: eine Kunstsprache, die vordergründig unbeholfen daherkommt (»Ich war eine die Ersten die aus der Theater Saal kammen«), aber mit elaboriert formulierten Reflexionen angereichert ist.
So klingt’s nun auch im neuen, nunmehr dritten Gardi-Roman »Eine runde Sache« (Droschl). In dessen erstem Teil gerät ein »mit die Frage von Lüge und Fantasie, Erfahrung und Erfindung« befasster Autor namens Tomer Gardi in ziemliche Verwicklungen: Er wird zu einer Jagd eingeladen, muss aber bald erkennen, dass er selbst das Jagdobjekt ist; überwältigt einen ihm nachstellenden deutschen Schäferhund, der unweigerlich Rex heißt, trifft einen in Reimen parlierenden Erl- oder Elfenkönig, wird als der ewige Jude geoutet und landet zum Schluss auf der Arche Noah. (Den zweiten, nicht so komisch gearteten Part lasse ich hier mal beiseite und also auch die u.a. von Denis Scheck geführte Debatte darüber, ob er sich zum ersten fügt oder nicht.) Anarchischer Nonsens also auf der Handlungs- und Sprachebene, getreu der Devise »Absurd ist besser als tot«: das gehört nicht nur zum Wirrsten, sondern auch zum Lustigsten, was mir in letzter Zeit untergekommen ist. Weil Rex von Gardi mit einer Plastikvagina das Maul gesperrt wurde, kann der arme Hund fast keine Vokale sprechen, nur das Ü. Das ist furchtbar doof, aber auch gewitzt, weil im Vergleich dazu Gardis Deutsch plötzlich ganz einfach zu lesen ist und er immer wieder den Hund dolmetschen muss: »Üch wüll sü nücht sprüchün. Düs üst tütül lüchürlüch! Üs üst ürnüdrügünd.« Dazu die bemerkenswerten Knittelverse des Erlkönigs, in denen sich »spät« auf »Intersubjektivität« reimt und die kaum das Produkt eines die deutsche Sprache nicht beherrschenden Verfassers sein können – nein, nein, hier geht es nicht, ich korrigiere: nicht nur um Politik und Identität, hier geht es um einen sehr komischen Autor (broken-)germanischer Sprache, der sich als Erzähler sämtliche Freiheiten nimmt, »in Fantasie interessiert« ist und ins »Fabulieren« und den ich schon seit Geraumem an dieser Stelle mal empfehlen wollte.
Hiermit erledigt.