Humorkritik | April 2022

April 2022

»Der Sommer ist eine Jahreszeit, die nicht der Komik entbehrt.«
Gustave Flaubert
(an Turgenew, 1.6.1874)

Der Komödienmacher

Die Haltbarkeitsdauer von Komödien ist begrenzt. Shakespeares Narren erheitern ein heutiges Theaterpublikum nur mehr mäßig, ob über Lessings »Minna von Barnhelm« je gelächelt wurde, ist fraglich, Kleists »Zerbrochner Krug« gibt aktuell eher zu denken als zu lachen. Selbst an einigen von Johann Nestroys Possen und Oscar Wildes Gesellschaftskomödien hat der Zahn der Zeit geknabbert. Thomas Bernhards »Theatermacher« dagegen hat die knapp 37 Jahre seit seiner Uraufführung erstaunlich gut überstanden.

Das liegt vermutlich daran, dass er mit den einfachsten schwankbewährten Mitteln arbeitet. Die Form dagegen wirkt erstaunlich gegenwärtig: Wie ein Stand-up-Comedian schwadroniert die Hauptfigur, der »Staatsschauspieler« Bruscon, ex cathedra; ihn größenwahnsinnig zu nennen, wäre ebenso untertrieben wie überflüssig, denn er spielt keine Charakter-, sondern eine Chargenrolle und beklagt sich unentwegt über die widrigen Umstände und die Brüchigkeit der Bretter, die ihm die Welt bedeuten. Und da seine Urteile und Vorurteile niemals gerecht oder gedeckt waren, sind sie zeitlos. Im Hier und Heute, im muffigen Tanzsaal des Gasthauses »Schwarzer Hirsch« zu Utzbach – »diese bauwerkliche Hilflosigkeit, diese Wändescheußlichkeit, diese Deckenfürchterlichkeit, diese Türen- und Fensterwiderwärtigkeit, diese absolute Geschmacklosigkeit« – soll Bruscon mit Hilfe der eigenen Familie, dieser Ansammlung von »Antitalent«, sein »Das Rad der Geschichte« zur Aufführung bringen: eine Komödie, »in der alle Komödien enthalten sind, die jemals geschrieben« wurden.

Und weiter dreht sich die Bernhard-Walze. Die Fallhöhe zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist plakativ genug, und Bruscon schreckt vor nichts zurück: Scheinbar willkürlich kommt er – wie in einem Woody-Allen-Film – vom Idealen zum Banalen, von Schopenhauer zur Frittatensuppe, vom Atomzeitalter zum Blutwursttag, von Napoleon zur Notbeleuchtung. Bruscons Besessenheit von der Idee, dass es am Ende seiner epochalen Komödie vollkommen finster zu sein habe, geht auf Bernhards Erfahrung bei den Salzburger Festspielen zurück, wo ihm bei der Premiere seines Stücks »Der Ignorant und der Wahnsinnige« die zugesagte Verdunklung dann doch verweigert wurde, worauf der Autor weitere Aufführungen mit dem Argument untersagte: »Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus.« Darauf kommt Bruscon immer wieder zurück: »Wie gesagt, in meiner Komödie hat es am Ende vollkommen finster zu sein, auch das Notlicht muss gelöscht sein, vollkommen finster, absolut finster. Ist es am Ende meiner Komödie nicht absolut finster, ist mein ›Rad der Geschichte‹ vernichtet …«

Von diesem »Rad der Geschichte« erfahren wir ansonsten wenig. Unter anderem enthält es wohl eine Szene, die Kaiser Napoleon, Fürst Metternich, Väterchen Stalin und Lady Churchill um einen Verhandlungstisch versammelt. Die Proben geben Bruscon immerhin Gelegenheit, die Mitglieder seiner Familie – Ehefrau, Tochter und Sohn – reihum zu beleidigen, und in dieser Disziplin zeigt sich Bernhards musikalisch fundierte Meisterschaft. Wie er Tempo und Tonfälle wechselt, von schleppendem Lamento zu hektischem Stakkato, von weinerlicher Sachlichkeit zu hohltönendem Pathos, das gibt jedem Darsteller – in Frankfurt sah ich Wolfram Koch – genug Gelegenheit zu glänzen. Voraussetzung: das entsprechende Timing.

Schließlich genehmigt der Feuerwehrhauptmann die Abschaltung des Notlichts, doch zur Aufführung kommt es nicht: Der Blitz schlägt ein, es brennt, es brennt, das Publikum rennt, das Rad der Geschichte läuft leer. Nicht totzukriegen ist allein das Theater, »diese jahrtausendealte Perversion.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt