Humorkritik | April 2022
April 2022
»Der Sommer ist eine Jahreszeit, die nicht der Komik entbehrt.«
Gustave Flaubert
(an Turgenew, 1.6.1874)

Spinne im Ballettrock
Wenn man wie Irina Falkenberg, Barbara Wild und Paul McGhee Humor nicht nur definiert als, puh, »Fähigkeit, eine heitere Gelassenheit auch im Angesicht von Belastungen aufrechterhalten zu können, sowie die Fähigkeit, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen«, sondern auch als »Freude am Spiel, an Blödsinn und Komik«, fällt das von den dreien geschriebene Handbuch »Humorfähigkeiten trainieren« (Schattauer) in mein Schubfach. Dabei bin ich eigentlich gar nicht Zielgruppe: Das Buch soll Fachpersonal anleiten, im Rahmen von Psychotherapien Humorlektionen für Patienten anzubieten, die unter Depressionen, Burnout, bipolaren Störungen oder anderer Seelenpein leiden … – na ja, vielleicht bin ich in diesem Sinn doch Zielgruppe, denn Humorlektionen biete auch ich an.
Die grundlegende Annahme des Buches, wonach Humor Distanz schafft, mithin auch Distanz zu den persönlichen Kalamitäten, teile ich natürlich: »Witziges und Komik können in der Psychotherapie von Menschen mit Angststörungen benutzt werden, um einen Perspektivwechsel hervorzurufen. Eine systematische Studie mit PatientInnen mit Spinnenphobie ergab, dass das Betrachten von humorvollen Stimuli (z.B. eine Spinne im Ballettrock) die Angst genauso gut reduzierte wie klassische Desensibilisierung.« Nach einer knappen Skizzierung humortheoretischer Grundlagen konzentrieren sich Falkenberg et al. auf praktische Anwendungen, mit denen die besagten Humorfähigkeiten geweckt und geübt werden sollen, vom gelungenen Erzählen von Witzen und komischen Anekdoten bis zur Aufgabe, John Cleeses berühmten »Minister für albernes Gehen« nachzuahmen. Einiges ist auf das außerklinische Leben übertragbar, vielleicht sogar für Komikerzeugende inspirierend – etwa wenn Situationen auf ihren komischen Gehalt abgeklopft werden sollen, indem man überlegt, »was Sie an der Situation komisch fänden, wenn Sie z.B. Otto Waalkes (oder Ihr Lieblingskomiker) wären«. Etwas weniger komikträchtig scheint mir jene »Übung, in der jeder Teilnehmer seinem Nachbarn eine belastende, ärgerliche oder unangenehme Situation erzählt. Dann erzählt er sie ein zweites Mal, lässt dabei aber in allen Wörtern das ›S‹ weg.« Wenn’s denn wenigstens das Q gewesen wäre!
Hinter all den Lektionen steht dasselbe Prinzip: das Abweichen von eingefahrenen Sicht- und Verhaltensweisen. Humor befreit, macht einen beliebt und so manche Sorge erträglicher: »Menschen mit frühen Traumatisierungen tendieren oft zu Galgenhumor«, um so »Souveränität zurückzugewinnen«. Leider, aber verständlicherweise kommt zu kurz, welche Erfahrungen mit solchen Humorübungen in der ärztlichen Praxis gemacht wurden; manchmal liest man aber doch einen gelungenen Witz – wenn auch der folgende weniger wie einer aus dem klinischen Alltag klingt, sondern eher wie ein Klassiker: »Fragt der Psychiater: ›Na, wie heißen Sie denn heute?‹ – ›Richard Gere!‹ – ›Komisch, gestern hießen Sie doch noch Kim Basinger?!‹ – ›Ja, das war mein Mädchenname!‹«