Humorkritik | Juli 2021

Juli 2021

»Es ist verblüffend, wenn man bedenkt, wie leicht es ist, sich gegenseitig mit Heiterkeit anzustecken, und wie trist und krank doch dagegen die Welt ist.«
Fabio Stassi

Sau Porno aus Rumänien

Emilia und Eugen drehen daheim einen Porno, der landet im Netz, und da Emi als Geschichtslehrerin an einer traditionsreichen Schule arbeitet, bekommt sie ein Problem. Dass aus diesem Stoff kein betroffen machendes Fernsehspiel wird, ist erfreulich. Stattdessen hat der rumänische Regisseur Radu Jude daraus im Corona-Sommer 2020 den Spielfilm »Bad Luck Banging or Loony Porn« gemacht (im Original recht drollig »Babardeală cu bucluc sau porno balamuc«), den er selbst als »Skizze zu einem Heimatfilm« ausgibt und den Kritiker, die ihn im Rahmen der digitalen Berlinale gesehen haben, mehrheitlich als »Gesellschaftssatire« bezeichnet haben, wahlweise »bitterböse« oder »messerscharf«. Das ist nicht ganz richtig, da keiner der drei Teile, in die Jude seinen Film zerlegt, im Ansatz satirisch ist.

Im ersten Teil folgen wir der Heldin Emilia durch Bukarest. Plakativ werden zeitgenössische Geschmacklosigkeiten und Verfallserscheinungen aneinandergeschnitten, bis sich ein Bild ergibt, das selbst an diesem helllichten Sommertag trostloser wirkt als die nächtlich-dystopischen Zukunftsvisionen in »Blade Runner« oder »Brazil«. Um dokumentarisch zu wirken, schreckt die Kameraführung vor Längen und Breiten nicht zurück: Wird schon der Heimporno in aller Ausführlichkeit gezeigt, so zieht sich auch Emis Weg zu dem Elterntribunal, das, von der Direktorin einberufen, über ihren Fall verhandeln soll. Forum dafür ist im dritten Akt der malerische Innenhof von Emis Schule, in dem die Eltern maskiert und in gehörigem Abstand über die Lehrerin zu Gericht sitzen. Der Untertitel »Sitcom« trifft die Erzählweise, denn auch hier lässt sich die Regie Zeit und gönnt uns die Entwicklung solcher Diskussionen, die von Absurditäten zu Aggressionen führt; neomoralische Heucheleien und traditionelle Vorurteile werden durcheinandergeworfen, bis alles in einer Schlägerei endet, die ebenso amateurhaft aussieht wie der Porno, mit dem das ganze Elend angefangen hat.

Zwischen den beiden erzählenden Teilen liegt indes eine halbstündige Collage, die wie ein groteskes Glossar – Ambrose Bierces »Wörterbuch des Teufels« zum Beispiel – Begriffe aus der rumänischen Geschichte banal illustriert oder aphoristisch definiert. Hier fand ich auch den einzigen Anlass zum Lachen: »Eitelkeit« wird mit der Geschichte eines Mannes erklärt, der seinen Briefwechsel mit Albert Einstein und Papst Pius XII. herausgibt. Auf den 1500 Seiten finden sich allerdings nur seine Briefe, da weder Einstein noch der Papst ihm je geantwortet haben.

Dass Radu Judes Film mit dem »Goldenen Bären« ausgezeichnet wurde, lässt darauf schließen, dass in der Jury einer Mehrheit von Mitgliedern das Skizzenhafte besser gefiel als sorgfältig ausgeführte Werke. Auch eine Form von Eitelkeit, würde ich sagen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Halt, Stromanbieter Ostrom!

Du kannst uns noch so oft auf Insta mit den vielen »reasons to join ostrom« kommen, unsere Treue gehört dem einzig wahren Rom: Westrom!

In diesem Sinne vale und semper fi von Deiner Imperialtraditionalistin Titanic

 Unzufrieden, »Deutschlandfunk Kultur«,

sind einer Deiner Instagram-Kacheln zufolge knapp 20 Prozent der Jugendlichen. Vor allem Zukunftsängste machen ihnen zu schaffen. Als serviceorientierter Wohlfühlsender hast Du aber direkt eine praktische Lösung parat, wie den jungen Leuten geholfen werden könnte. Und zwar, indem man ihnen in der Schule sogenannte Selbstregulationskompetenzen beibringe. Gut geeignet seien demnach zum Beispiel Yoga und Atemübungen.

Die aufkommende Panik einfach wegmeditieren? Zugegeben: Bei der Hilflosigkeit, die beim Gedanken an Verarmung, Klimakatastrophe und Faschismus aufkommt, keine abwegige Idee. Trotzdem schiene uns »Selbstregulation« ein irgendwie spaßigeres Konzept zu sein, wenn Du, Deutschlandfunk, es den Jugendlichen anhand der Konten von Milliardär/innen oder anhand leerstehender Luxuslofts beibrächtest!

Deine Revoluzzerkids von Titanic

 Na, lange nichts von Ihnen gehört, Seehofer, Sie alte Schabracke!

Na, lange nichts von Ihnen gehört, Seehofer, Sie alte Schabracke!

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung geben Sie Ihrer ehemaligen Chefin eine Mitschuld am Erfolg der AfD: »Ich finde, dass Angela Merkel sich keinen Zacken aus der Krone brechen würde, wenn sie mal erklärt: In der Migrationsfrage habe ich nicht jeden Tag richtig gelegen.« Nein, verkündeten Sie außerdem generös, Sie hätten »keine Triumphgefühle« ihr gegenüber, nur weil jetzt in der Flüchtlingspolitik »sehr viel von dem getan wird, was ich schon vor Jahren gefordert habe – und dafür von einigen sogar als Rechtsextremist beschimpft wurde«. Stattdessen spürten Sie nur »Genugtuung nach innen«. Natürlich: Stille, nach innen gerichtete Genugtuung posaunt man bekanntlich in die Süddeutsche … Aber wäre es nicht so oder so treffender gewesen, Sie hätten von einem »inneren Reichsparteitag« gesprochen?

Fragt Sie Ihre sprachpsychologische Praxis auf der Titanic

 Mal wieder typisch, Bundespolizei!

Du testest gerade den Einsatz von Tasern, hast Dir in einem vertraulichen Bericht aber eingestehen müssen, dass diese ihre Mannstoppwirkung oder gleich das ganze Ziel gerne mal verfehlen. Ein Grund für das Versagen der Taser ist wohl: eine »offene Softshell-Jacke«. Und das ist ja mal wieder typisch! Wer muss sich um Polizeigewalt in Taserform also keine Sorgen machen? Gutsituierte Krautwurst-Teutonen in ihren ewigen Softshell-Jacken! Komm, Bundespolizei, Rassismus kannst Du doch auch weniger auffällig, weiß aus anders gekleideter Quelle

Deine Titanic

 Und aber apropos, brigitte.de!

»Diese Angewohnheit schadet deinem Gehirn mehr, als du denkst« – eigentlich ist uns das als Vorlage zu billig. Aber schwer fällt uns der Verzicht schon!

Gewohnheitsmäßig nicht Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Sprachchanges

Ist es Ihnen auch schon aufgefallen? Wir verwenden in der deutschen Sprache immer öfter Anglicisms.

Jürgen Miedl

 Ungenießbar

Zu Beginn der kalten Jahreszeit wird einem ja wieder überall Tee angeboten. Ich kann das Zeug einfach nicht trinken. Egal wie viel ich von dem brühheißen Wasser nachgieße, ich schaffe es einfach nicht, den Beutel im Ganzen herunterzuschlucken.

Leo Riegel

 Schattenseite des Longevity-Trends

Ob ich mit fast 60 noch mal Vater werden sollte? Puh, wenn das Kind 100 ist, bin ich schon 160!

Martin Weidauer

 Krass, krasser, Kasse

Wenn ich im Alltag mal wieder einen Kick suche, gehe ich kurz nach Feierabend oder samstags bei einem Discounter einkaufen. Finde ich dort eine richtig lange Kassenschlange vor, stelle ich mich nicht etwa an, sondern lege meine Einkäufe auf die nicht besetzte Kasse daneben. Hier beginnt der Nervenkitzel: Werde ich wie der letzte Idiot erfolglos auf die Öffnung der neuen Kasse warten oder wie ein allwissender Gott über den gewöhnlichen Einkäufern schweben? Mehr Spannung geht nicht. Anfängern rate ich allerdings, sich erst nach dem Schrillen, mit dem im Supermarkt Kollegen gerufen werden, an der leeren Kasse anzustellen. So kann man sich mit ein paar sicheren Erfolgen langsam an das freie Anstellen herantasten.

Karl Franz

 Bibelfest

Ich habe letztens geträumt, dass ich Teil einer christlichen Punk-Band war. Unser größter Hit: »Jesus muss sterben, damit wir leben können«.

David Sowka

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 28.10.:

    Das Schweizer Nachrichtenportal Watson preist den aktuellen Titel der Novemberausgabe im "Chat-Futter" an.

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

Titanic unterwegs
05.11.2024 Sylt, Feuerwache Tinnum Gerhard Henschel
05.11.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview«
07.11.2024 Hamburg, Centralkomitee TITANIC-Boygroup mit Gsella, Sonneborn und Schmitt