Humorkritik | Juli 2021

Juli 2021

»Es ist verblüffend, wenn man bedenkt, wie leicht es ist, sich gegenseitig mit Heiterkeit anzustecken, und wie trist und krank doch dagegen die Welt ist.«
Fabio Stassi

Aufsteiger

Timon-Karl Kaleyta, einigen als Sänger der Elektropop-Band Susanne Blech oder auch als Kolumnist der FAZ bekannt, hat mit seinem autofiktionalen Roman »Die Geschichte eines einfachen Mannes« (Piper) ein in mehrerer Hinsicht unterhaltsames Buch geschrieben. In einer Art Schelmenroman folgt man einem Ich-Erzähler, der vor ausgestellter Selbstverliebtheit nur so strotzt, was abstoßend und einnehmend zugleich ist. Folie dafür ist eine behütete westdeutsche Kindheit in den 80ern. Nicht schon wieder, möchte man meinen; hier allerdings ist der Fall anders gelagert, denn Kaleyta geht es nicht darum, die x-te Kindheitserinnerung ebenjener Generation X an ihre (pop)kulturelle Genese zu verfassen: Der Roman dreht sich von Anfang bis Ende einzig um den Erzähler, der wiederum leidenschaftlich um sich selbst kreist. Aus einfachen Verhältnissen stammend, klammert er sich an das Glücksversprechen, das einer Kindheit wie der seinen innewohnt, fern dem Leben der gefürchteten Haupt- und Realschüler von der anderen Straßenseite, garantiert durch die Allmacht Helmut Kohls, dessen Wahlniederlage er als einziger in der Klasse betrauert. »Sie müssen«, erklärt ihm sein Lehrer, »in jeder Situation absolut glaubhaft so tun, als hätten Sie keinerlei Ambitionen, als bewunderten Sie die Leute über Ihnen geradezu. Loben Sie sie, himmeln Sie sie an, seien Sie überfreundlich, hilfsbereit und stellen Sie sich immer ein bisschen dumm und begriffsstutzig dar, das mögen diese Leute.«

Ein bisschen dumm macht ihn sein Optimismus dann auch: Ohne ein Instrument zu spielen oder eine Idee davon zu haben, welche Musik er überhaupt machen möchte, ist dem Erzähler bereits klar, dass er Popstar werden muss. Dazu möchte er auch noch Medizin studieren, vor allem, um mit Stethoskop um den Hals und in weißer Kleidung im Englischen Garten auf der Bank zu sitzen. Es langt dann aber nur für Germanistik und Soziologie. Überhaupt ist nichts von dem, was er tut, sonderlich durchdacht, sondern ausschließlich von den verzerrten Idealen eines schönen Lebens geleitet. Die Lektüre von ausgerechnet Bourdieu erzürnt ihn schließlich derart, dass er seinem Professor seine Empörung über »Die feinen Unterschiede« kundtun muss, nach denen man, so des Erzählers vielleicht etwas zu normative Lesart, ja gleich kapitulieren könne. Das nehme einem ja von vornherein jeden Mut! Nach einer Karriere als Beinahe-Popstar mit Plattendeals und ein paar Konzerten kommt der Erzähler schließlich wieder auf dem Boden der Tatsachen an, von den Träumen bleibt wenig übrig, auch wenn sein Optimismus sich selbst das noch schönzufärben weiß. All das funktioniert auf mehreren Ebenen, als Aufstiegsgeschichte eines nicht ganz zuverlässigen Erzählers, aber auch als selbstironischer Rückblick darauf – oder gar als subtile Parodie auf derzeitige Klassendiskurse.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella