Humorkritik | Juli 2021

Juli 2021

»Es ist verblüffend, wenn man bedenkt, wie leicht es ist, sich gegenseitig mit Heiterkeit anzustecken, und wie trist und krank doch dagegen die Welt ist.«
Fabio Stassi

Nor wege dene Mark

Es gibt jüdische Witze, und es gibt Judenwitze. Bislang ist es allgemeine Überzeugung, dass in den vielen Sammlungen jüdischer Witze eben jüdische Witze stehen. Dass dem nicht so ist, behauptet Jakob Hessing (»Der jiddische Witz. Eine vergnügliche Geschichte«, letztes Jahr bei C.H. Beck erschienen) und gibt ein Beispiel: »Zwei Juden treffen in der Nähe des Badehauses zusammen. – ›Hast du genommen ein Bad?‹ fragt der eine. – ›Wieso?‹ fragt der andere dagegen, ›fehlt eins?‹« Hessing zufolge seien Witze über jüdische Unreinheit antisemitische Erfindungen, weshalb es für sie auch keine jiddische Urfassung gibt. Aber dass Sigmund Freud, der diesen Witz in seiner berühmten Studie zitiert, ihn goutierte, spricht für etwas anderes: Es ist ein Witz, den assimilierte und arrivierte Juden über ihre arme Verwandtschaft im Stetl machten, das sie, ebenso wie die jiddische Sprache, hinter sich gelassen hatten.

Ein anderer angeblicher Judenwitz, den Hessing in Salcia Landmanns Sammlung »Der jüdische Witz« gefunden hat, geht so: »Lehrer: ›Kinder, wer kann mir einen Satz mit Norwegen und Dänemark bilden?‹ – Klein Moritz: ›Mai Vater macht sei Geschäfte nor wege dene Mark.‹« Laut Hessing ein feindseliger Witz, der das Klischee des geldgierigen Juden bedient. Wer kein Antisemit ist, versteht den Witz anders: Er bezeugt einen bewundernswert beweglichen Verstand – die Sache mit den Geschäften ist der notwendige Hintergrund, vor dem sich das freie (Wort-)Spiel des Geistes entfalten kann.

Zugegeben: Es gibt jüdische Witze, es gibt Judenwitze, und beide können, möchte ich die eingangs zitierte allgemeine Überzeugung korrigieren, identisch sein. Entscheidend sind die Umstände, die Haltung, die Absicht von Erzähler und Hörer – und das gilt auch für viele andere Witzgenres. Hessings Einschätzung ist also ebenso richtig wie falsch. Ähnlich verhält es sich mit den Korrekturen, die er an Freuds Witztheorie vornimmt: Falsch ist die von Freud behauptete Verwandtschaft von Witz und Traum, denn der Traum verbirgt bis zur Unkenntlichkeit, der Witz aber enthüllt etwas – »der Text des Witzes ist kein verdrängter Wunsch wie der Traum, er ist eine offen zur Schau gestellte Realität«. Falsch auch die von Freud angegebene Quelle der Lust beim Witzeerzählen: Nicht das geistreich umgangene Tabu sorgt beim Erzähler für Entlastung, sondern er kostet das Vergnügen an seinem gelungenen Vortrag aus. Der Erzähler ist nämlich nicht der Erfinder, sondern bloß der Verteiler eines vorgefundenen Witzes.

Falsch aber liegt Hessing, wenn er meint, Witze könnten nicht subversiv sein: »Sie stärken die Gesellschaften, in denen sie erzählt werden«. Seltsam, dass den Zensierern der letzten paar Jahrtausende dieser Gedanke nie gekommen ist!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg