Humorkritik | September 2020

September 2020

Es gibt eine Art ernsthafter Leute, welche es überhaupt zur Sünde machen will, wenn man schertzet und lachet.
Georg Friedrich Meier

Kein Vergleich

Der »mit Kafka, Calvino, Borges und Thomas Bernhard verglichene« Australier Gerald Murnane, geb. 1939, wird seit einigen Jahren ins Deutsche übersetzt, und weil Suhrkamp im hier zitierten Klappentext des Prosabandes »Landschaft mit Landschaft« zwar die Vergleichsgrößen anpreist, nicht aber die Ergebnisse der Vergleiche, möchte ich diese nachliefern – zumindest für die beiden einigermaßen komischen Kollegen Italo Calvino und Thomas Bernhard:

An mindestens Calvinos »Wenn ein Reisender in einer Winternacht« soll man wohl denken, wenn in jedem Kapitel von »Landschaft mit Landschaft« das Folgende als Fiktion angekündigt wird: »Ich hatte ihr gesagt, dass meine erste Erzählung, Die Essenz schlürfen, so gut wie sicher veröffentlicht würde«, und so heißt dann auch – Überraschung! – das folgende Kapitel »Die Essenz schlürfen«; in welchem wiederum erklärt wird: »Ich muss versucht haben, ihn zum Lesen des Manuskripts zu bewegen, denn ich fand es am nächsten Morgen auf dem Tisch: Die Schlacht von Acosta Nu«; was dann natürlich der Name des nächsten… – aber Sie verstehen schon. Komisch ist das nicht, und darüber hinausgehende avantgardistische Späße erlaubt sich Murnane ebenso wenig: Anders als Calvino spricht er den Leser nicht mit Du an und lässt auch keinen inexistenten Ritter aufgaloppieren (siehe TITANIC 12/2001).

Ebenso ungünstig fällt der Bernhardvergleich aus. Denn was Murnane zu den Paraguayern einfällt, reicht dem Schimpfer aus Oberösterreich nicht einmal bis zum Lederhosenknie: Gejammer (»Es gab kein wahres Glück in Paraguay«), Koketterie (»… in diesem Raum, in dem sogar die Luft drückend paraguayisch schien«) und Selbstentlastung (»… verwünschte ich Paraguay für die Banalität der Bilder, die es in meinem Kopf untergebracht hatte«), ergo: »Besser, man vertraute Paraguay nicht«. Wie auch den Bernhard- und Calvinovergleichen. Ob der fade Murnane als »Kandidat für den Literaturnobelpreis« (Suhrkamp) seine ungekrönt gebliebenen Kollegen wenigstens in dieser Hinsicht auszustechen vermag, weiß einzig Kassandra.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella