Humorkritik | September 2020

September 2020

Es gibt eine Art ernsthafter Leute, welche es überhaupt zur Sünde machen will, wenn man schertzet und lachet.
Georg Friedrich Meier

Episodenfilm mit Hirn

»Angenommen, eine Frau kommt nach Hause und ertappt ihren Mann dabei, wie er seine eigene Scheiße betrachtet. Angenommen, dieser Mann wacht nie wieder aus seiner Versunkenheit auf. Angenommen, die Frau weist ihren Mann in eine Klinik für Geisteskranke im Norden des Landes ein. Unsere Geschichte beginnt exakt am nächsten Morgen.« So die ersten Sätze des Films »Die obskuren Geschichten eines Zugreisenden« des spanischen Regisseurs Aritz Moreno, der seit 20. August in den deutschen Kinos läuft. Was folgt, ist eine zweistündige Hatz durch verschiedene Genres und Episoden, die den Zuschauer genauso zum Narren hält wie den vermeintlichen Psychiater Ángel, der der Verlegerin Helga während einer Zugfahrt eine Geschichte erzählt, in der ein Mann namens Martin Urales de Úbeda seinen Eltern eine Geschichte erzählt, in der eine Frau vorkommt, die ihm erzählt, was ihr ein Mann erzählt hat, nämlich eine so unglaublich schreckliche Geschichte, dass die letzte Erzählinstanz des Kinos, die Kamera nämlich, das Schlimmste nicht mehr zeigen kann.

Bald jedoch wird sich herausstellen, dass alles nur erfunden war (wofür der Erfinder eine Krokette an den Kopf bekommt). Und die gesamte Welt in Wahrheit von einem Hightech-Netzwerk von Müllabfuhren beherrscht und kontrolliert wird. Oder auch nicht.

Der Film ist Morenos Langfilmdebüt. Verblüffend stilsicher gelingt es dem Regisseur, das Komische als ein ästhetisches Mittel einzusetzen, das einerseits Genre-Manierismen bricht und andererseits die Geschichte zusammenhält. Zwar haben die verschiedenen Episoden ganz unterschiedliche Tempi, Atmosphären, Jargons und Sounds, gemein ist ihnen aber eine schräge Falschheit, eine latente Inkonsistenz: groteske Komik eben, welche das Grauen, das Abwegige, Sonderbare, Gespenstische, aber auch das Befreiende und Rettende verstärken und in Szene zu setzen hilft. So lässt Moreno etwa eine im Regen stehende und aus sehr guten Gründen sehr verzweifelte Frau ihren Peiniger, den sie einst liebte und der sie später in eine Hundehütte ausquartierte, durchs Wohnzimmerfenster anstarren, während die Liebeshymne »El Amor« erklingt, welche die Liebe überbordend poetisch als das Höchste der Gefühle preist. Doch das Lied hat einen zweiten Teil, und nun nimmt die Frau einen Hammer, rammt ihn dem schlafenden Mann in den Kopf, sägt seinen Schädel auf, und die Singstimme schmettert dazu: »Die Liebe vereitelt deine ach so tollen Pläne, sie zerstückelt und zerbricht dich, zerlegt dich in deine Einzelteile, sie macht dich zu einem Menschen, der du nie sein wolltest, sie verwandelt dich in ein Arschloch, macht dich komplett kaputt.« Aber da hat der Hund bereits einen Teil der männlichen Hirnmasse verspeist, die ihm die Frau nach der Entnahme in den Napf getan hat.

Der Film ist großartig. Man sollte ihn ansehen, solange er noch im Kino läuft, da er auf einem Wohnzimmerbildschirm vieles von seiner asymmetrischen Eleganz, seiner abgedrehten Eindringlichkeit und seinem Überrumpelungspotenzial verlieren dürfte.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.11.2023 Stuttgart, Theaterhaus Max Goldt
30.11.2023 Erfurt, Franz Mehlhose Max Goldt
30.11.2023 Friedrichsdorf, Forum Friedrichsdorf Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige
01.12.2023 Hamburg, Centralkomitee Hauck & Bauer