Humorkritik | November 2020

November 2020

Sich umbringen heißt ja auch, sich ernst nehmen – und das kann ich nicht.
Herbert Feuerstein (1937 – 2020)

Zwei Warnungen und ein Sonderfall

Charles Dickens war und ist einer der meistgelesenen englischen Autoren. Seine gusseisernen Romankonstruktionen tragen auch die meisten Verfilmungen. Die jüngste stammt von Armando Iannucci: »David Copperfield – einmal Reichtum und zurück.«

Der Film dauert zwei Stunden, und die sind vollgestopft mit inhaltlichen und formalen Einfällen, die für zwei Filme gereicht hätten. Das fängt bei der Besetzung an, die ohne Rücksicht auf historische oder literarische Vorgaben bunt gemischt ist. So wird die Titelrolle von einem indischen Schauspieler verkörpert, die einzige Vertreterin des viktorianischen Adels von einer nigerianischen Schauspielerin, deren Sohn wiederum von einem hellhäutigen Briten. Was zeitgemäß zeitlos aussehen soll, hat leider eine verheerende Wirkung auf die komisch gemeinten Szenen, auf die Iannuccis Nacherzählung offensichtlich setzt: Denn Dickens’ Humor, den dieser nach dem Debüterfolg seiner »Pickwick Papers« vor allem auf skurrile Nebenfiguren verteilte, gerät seines historischen Kontexts entkleidet noch altbackener als die sentimentalen Gegenstücke, die bei Iannucci ohnehin zu kurz kommen.

Nun hat »David Copperfield« mindestens zwanzig Verfilmungen überstanden, diese mag wenigstens zur Wiederlektüre anregen.

Keineswegs zur Wiederlektüre bewegt mich – Warnung Nr. 2 – der jüngste Roman von Kristof Magnusson, »Ein Mann der Kunst«; mögen die Kritikerkollegen ihn auch hochloben (»urkomische Szenen«, »Frankfurter Rundschau«). Dabei ist das Setting vielversprechend: Mitglieder eines privaten Kunstvereins wollen einen Flügel ihres Museums einem einzigen Großkünstler widmen. Um sich von dessen Würdigkeit zu überzeugen, suchen sie ihn in seinem Rückzugsschloss im Rheingau auf. Und dann geht es Magnussons Roman wie so vielen Horrorfilmen: Tritt das Monster erst persönlich in Erscheinung, zerstiebt der ganze Zauber. Denn sein Großkünstler hat so gar nichts, was die Faszination erklären könnte, die er auf seine Bewunderer angeblich ausübt. Dieses Konstrukt aus diversen lebenden Vorbildern würde selbst auf dem verkommenen deutschen Kunstmarkt nur Ladenhüter produzieren.

Ein Großkünstler ist der Filmemacher Roy Andersson insofern, als er sich um dramaturgische Konventionen, Sehgewohnheiten und Zuschauererwartungen nicht kümmert. In seinem Alterswerk »Von der Unendlichkeit« zelebriert er seine gewohnte Rätselhaftigkeit besonders rücksichtslos. Für den Humorkritiker ist interessant, wie sich aus dem Erhabenen durch winzige Abweichungen sofort eine Art von Komik ergibt, wie wir sie als Pubertierende aus dem erzwungenen Kirchenbesuch kennen: Ein Stolpern, ein Versprecher, ein falsches Wort, ein falscher Schritt – schon wird aus der gravitätischen Melancholie der Bilder ein Szenario, das von Michael Sowa sein könnte, und aus dem wortkargen Pathos des Anderssonschen Dialogs wird die Lakonie einer Loriot-Szene.

Laut gelacht habe ich nicht, aber gekichert bisweilen schon.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg