Humorkritik | März 2020
März 2020
Aber eine lustige Geschichte ist das nicht. Sie hat traurig angefangen und hört traurig auf.
Peter Bichsel, »Ein Tisch ist ein Tisch«
Immer was zu lachen
Es dürfte eine Binse sein, dass es sich bei Sven Regener um einen Autor (auch) komischer Texte handelt; schon das erste Kapitel seines Debüt- und Bestseller-Romans »Herr Lehmann« dient als Beweis, gerät doch Herr Lehmann darin im Morgengrauen auf dem Heimweg mit einem Kampfhund aneinander und auf unorthodoxe Weise und mit Hilfe von Alkohol wieder aus der Klemme heraus.
Etwas schwieriger dürfte es sein, genauer zu analysieren, worin diese Komik besteht. Ich würde auf Regeners Fähigkeit verweisen, das zeittypische Labern seiner West-Berliner 80er-Jahre-Protagonisten so wiederzugeben, dass es in all seiner Redundanz komisch wird, zudem auf die Persönlichkeit Frank Lehmanns, der nicht nur in der Trilogie »Herr Lehmann«, »Neue Vahr Süd« und »Kleiner Bruder« den fragwürdigen Helden gibt. Glücklicherweise kann ich mir diese Mühe sparen, denn Regener selbst hat sie mir im Rahmen seiner Brüder-Grimm-Poetikprofessur 2016 an der Universität Kassel abgenommen. Herr Lehmann, so erklärt dessen Schöpfer da, ist »leicht zerzauselt, hat jede Menge vorgefasster Meinungen zu allem und jedem und damit auch klare Erwartungen, wie sich die Dinge entwickeln werden«. Weil diese Erwartungen »immer wieder mit einer Realität, die das alles ad absurdum führt« kollidieren, »gibt es immer was zu lachen, und wir werden zugleich Zeuge, wie Frank seine neuen Erfahrungen so lange durchdenkt und zurechtbiegt und in Form klopft, bis sie in seine recht starre Auffassung von der Welt hineinpassen und er weitermachen kann. Bis ihm am Ende alles um die Ohren fliegt. Und da wird es dann plötzlich traurig.«
Damit liefert Regener nicht nur eine schulbuchmäßige Charakterisierung seines Helden, sondern schließt auch an gängige Definitionen von Komik an, der seine Vorlesung »Zwischen Depression und Witzelsucht: Humor in der Literatur« gewidmet ist. Nun ist Regener kein Philologe, sondern ein Autor, der laut Eigenauskunft seine »Bücher von vorne bis nach hinten und ohne großen Plan« schreibt. Seine Humorbetrachtungen kranken denn auch an einem gewissen Mangel an begrifflicher Schärfe, etwa dem nicht ungängigen Missverständnis, dass Humor mit Komik oder gar Witz gleichzusetzen sei (»Es ist Humor, wenn es witzig ist, und es ist witzig, wenn einer lacht«). Rätselhafte Behauptungen (»Wo also in der Kunst die Sprache wohnt, ist auch der Humor zu Hause«) und steile Thesen (Humor sei »eine kalte Technik, herz- und mitleidlos«, es gebe »keinen freundlichen Humor«) sind, wie es sich für Regener ja eigentlich auch gehört, sehr eigen und mitunter von einer spröden Komik, die seine Aussage illustriert, er sei »zu etwa 37 Prozent« mit Herrn Lehmann identisch. Wenn er etwa ausführt, man könne festlegen, »dass ein Werk eher zur Tragödienseite gehört, wenn es schlecht ausgeht, und zur Komödienseite, wenn es ein Happy End hat«, und diesen Definitionsversuch umgehend mit einem leicht überforderten »Aber das bringt oft auch nichts mehr« relativiert, dann klingt das durchaus wie Lehmann-O-Ton. In dessen Diktion gesagt: Über all das müsste man mal richtig nachdenken, ganz in Ruhe.
Nachlesen kann man – und darum geht es hier ja eigentlich – all diese humortheoretischen Gedanken und Maximen übrigens in einem durchweg mit anregenden Beiträgen bestückten Regener-Heft der Zeitschrift »text + kritik«, dessen Lektüre ich hiermit, ohne noch länger nachzudenken, empfehle.