Humorkritik | März 2020

März 2020

Aber eine lustige Geschichte ist das nicht. Sie hat traurig angefangen und hört traurig auf.
Peter Bichsel, »Ein Tisch ist ein Tisch«

Ein Braten namens Rebecca

Gar so seltsam fand ich sie nicht, die (laut Untertitel) »12 seltsamsten Präsidenten der USA«, welche der Journalist und Historiker Ronald D. Gerste in seinem Buch »Trinker, Cowboys, Sonderlinge« (Klett-Cotta) versammelt hat. Obwohl Ulysses Grant, Bürgerkriegsgeneral und Präsident von 1869 bis 1877, als Sonderling ganz gut vorlegt – dem toten Kanarienvogel seiner Gattin »bastelte er einen kleinen Sarg« und »bestellte acht Offizierskameraden ein, um dem kleinen Tier das letzte Geleit zu geben« – und der dicke (350 Pfund) William Howard Taft (1909 bis 1913) dadurch amüsiert, dass er bei jeder Gelegenheit wegratzte: »Die Schläfrigkeit des Präsidenten war bekannt und wurde verschiedentlich auf Fotos dokumentiert. Dass er in der Oper und in der Kirche einschlief, mag nichts Ungewöhnliches sein. Er nickte indes auch im offenen Wagen ein, als er tagsüber die Fifth Avenue entlanggefahren wurde; er schlief beim Kartenspielen ein und sogar während der Unterzeichnung von Dokumenten … Taft konnte sogar im Stehen bei offiziellen Anlässen einschlafen.« Jedoch scheint der Autor Übergewicht per se für etwas Seltsames zu halten; etwa das von Grover Cleveland, der »um die 250 Pfund auf die Waage brachte« und »Uncle Jumbo« genannt worden sei. Über den Republikaner Chester A. Arthur erfährt man: »Für die Wahl schien ein Sieg im Staat New York entscheidend, um gegen den demokratischen Gegner, den fast 250 Pfund schweren Ex-Bürgerkriegsgeneral Winfield Scott Hancock zu gewinnen.« Ansonsten sind die Sonderlingshaftigkeiten dieses Buches manchmal verblüffend uninteressant: »In der ländlichen Schule stach Harry [Truman] durch seine schlechten Augen hervor; er war der einzige Brillenträger in der Klasse.« Bemerkenswert hingegen die seltsame Semantik des Buches, wie in diesem Satz zur Wahl von Präsident Pierce: »Mit 48 Jahren war Franklin Pierce der bis zu diesem Zeitpunkt jüngste amerikanische Präsident«; also der jüngste Präsident bis zu seiner eigenen Wahl? Über die Gefühle von Gebäuden weiß Ronald D. Gerste: »Kaum drei Monate nach der vierten Amtseinführung Roosevelts legte Truman in einem unter Schock stehenden Weißen Haus den Amtseid als 33. Präsident ab.«

Gelohnt hat sich die Lektüre aber schon dafür, dass ich Calvin Coolidge (1923 bis 1929) näher kennenlernen durfte; einen Mann, der nicht gern redete und der von seiner späteren Frau, anscheinend einer Spannerin, durchs Fenster erblickt wurde, »als er eines Morgens in Unterwäsche, aber mit einem Hut auf dem Kopf … vor dem Spiegel stand und sich rasierte«. Die Neigung zu modischem Auftreten wird auch in der präsidentiellen Ehe anhalten: Sie habe »noch niemals einen Mann so interessiert an der Garderobe seiner Frau gesehen, erinnerte sich später ihre Sekretärin. In der Tat war Grace einzukleiden eine der Leidenschaften dieses nach außen so leidenschaftslos wirkenden Mannes.« Dass das Haustier der Coolidges, ein Waschbär namens Rebecca, ein schmackhaftes »Geschenk zu Thanksgiving 1926« war und nur deshalb an die Leine gelegt wurde, weil sich das Präsidentenpaar »nicht mit dem Gedanken versöhnen« konnte, »das putzige Tier als Feiertagsbraten zu verzehren«, erfreut mich genauso wie der Umstand, dass Calvin Coolidge von seinem eigenen Vater vereidigt wurde (es war grad keine andere »Person mit notarieller Befugnis« anwesend) und dass er sein Leben zirkelmäßig dort aushauchte, wo seine Ehe begann: beim Rasieren.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gesundheit, Thomas Gottschalk!

In Ihrem Podcast »Die Supernasen« echauffierten Sie sich mit einem fast schon dialektischen Satz zu Ihrer eigenen Arbeitsmoral über die vermeintlich arbeitsscheuen jungen Leute: »Es gab für mich nie eine Frage – ich war nie in meinem Leben krank, wenn ich im Radio oder im Fernsehen aufgetreten bin. Ich habe oft mit Schniefnase irgendwas erzählt.«

Das hat bei uns zu einigen Anschlussfragen geführt: Wenn Sie »nicht krank«, aber mit Schniefnase und im Wick-Medinait-Delirium vor einem Millionenpublikum zusammenhanglose Wortfetzen aneinandergereiht haben – war das nicht eine viel dreistere, weil höher bezahlte Form der Arbeitsverweigerung als eine Krankmeldung?

Wünscht Ihnen nachträglich gute Besserung: Titanic

 »Welt«-Feuilletonist Elmar Krekeler!

»Friede eurer gelben Asche, Minions!« überschrieben Sie Ihre Filmkritik zu »Ich – einfach unverbesserlich 4«. Vorspann: »Früher waren sie fröhliche Anarchisten, heute machen sie öde Werbung für VW: Nach beinahe 15 Jahren im Kino sind die quietschgelben Minions auf den Hund gekommen. Ihr neuestes Kino-Abenteuer kommt wie ein Nachruf daher.«

Starkes Meinungsstück, Krekeler! Genau dafür lesen wir die Welt: dass uns jemand mit klaren Worten vor Augen führt, was in unserer Gesellschaft alles schiefläuft.

Dass Macron am Erstarken der Rechten schuld ist, wussten wir dank Ihrer Zeitung ja schon, ebenso, dass eine Vermögenssteuer ein Irrweg ist, dass man Viktor Orbán eine Chance geben soll, dass die Letzte Generation nichts verstanden hat, dass Steuersenkungen für ausländische Fachkräfte Deutschlands Todesstoß sind und dass wir wegen woker Pronomenpflicht bald alle im Gefängnis landen.

Aber Sie, Elmar Krakeeler, haben endlich den letzten totgeschwiegenen Missstand deutlich angesprochen: Die Minions sind nicht mehr frech genug. O tempora. Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 Augen auf, »dpa«!

»Mehrere der Hausangestellten konnten weder Lesen noch Schreiben« – jaja, mag schon sein. Aber wenn’s die Nachrichtenagenturen auch nicht können?

Kann beides: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Lifehack von unbekannt

Ein Mann, der mir im Zug gegenüber saß, griff in seine Tasche und holte einen Apfel heraus. Zu meinem Entsetzen zerriss er ihn mit bloßen Händen sauber in zwei Hälften und aß anschließend beide Hälften auf. Ich war schockiert ob dieser martialischen wie überflüssigen Handlung. Meinen empörten Blick missdeutete der Mann als Interesse und begann, mir die Technik des Apfelzerreißens zu erklären. Ich tat desinteressiert, folgte zu Hause aber seiner Anleitung und zerriss meinen ersten Apfel! Seitdem zerreiße ich fast alles: Kohlrabi, Kokosnüsse, anderer Leute Bluetoothboxen im Park, lästige Straßentauben, schwer zu öffnende Schmuckschatullen. Vielen Dank an den Mann im Zug, dafür, dass er mein Leben von Grund auf verbessert hat.

Clemens Kaltenbrunn

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Unübliche Gentrifizierung

Zu Beginn war ich sehr irritiert, als mich der Vermieter kurz vor meinem Auszug aufforderte, die Bohr- und Dübellöcher in den Wänden auf keinen Fall zu füllen bzw. zu schließen. Erst recht, als er mich zusätzlich darum bat, weitere Löcher zu bohren. Spätestens, als ein paar Tage darauf Handwerkerinnen begannen, kiloweise Holzschnitzel und Tannenzapfen auf meinen Böden zu verteilen, wurde mir jedoch klar: Aus meiner Wohnung wird ein Insektenhotel!

Ronnie Zumbühl

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster