Humorkritik | August 2020

August 2020

If something is unintentionally funny, you ought to know.
If you intended it to be very serious and dramatic, but actually it’s funny, then you are in trouble.
Margaret Atwood

Nothing special

Ja, auch ich habe Podcasts abonniert, etwa die von BBC Radio 4 produzierte »Now Show«, in der pro Folge drei britische Stand-up-Comedians auftreten. Dabei fällt auf, dass in einer im deutschen Sprachraum unbekannten Häufigkeit auch Komiker mit Behinderung vertreten sind, etwa Rosie Jones. Jones begann ihre Karriere als Autorin für TV-Panel-Shows und steht seit 2018 selbst auf der Bühne. Ihre motorischen Einschränkungen und dadurch bedingten Sprechpausen aufgrund einer Zerebralparese nutzt sie gekonnt als dramaturgische Mittel: »Sprechen wir gleich über den behinderten Elefanten im Raum. (Pause) So nennt mich meine Mutter. (Pause) Das Miststück.« Auf diese Weise bricht Jones nicht nur komisch Erwartungen, sondern konfrontiert auch das Publikum mit dessen beschränkter Wahrnehmung und Voreingenommenheit. Eine ihrer Shows beginnt etwa so: »Wie ihr sofort an meiner Stimme erkennen könnt, bin ich leider (Pause) aus dem Norden. Es ist so schwer.« Jones scheut keine Tabubrüche, sie zelebriert sie – vor allem im Themenkomplex Sexualität / Behinderung: »Ich bin so gerne Single. Dadurch habe ich einfach viel mehr Zeit. (Pause) Um zu masturbieren. Was vielleicht das Einzige ist, in dem ich schneller bin!« – und sie spielt ein spastisches Krampfen. Es ist eine selbstbewusste und provokante Demontage des medial gern inszenierten Bildes vom bedürftigen, schüchternen Menschen mit Behinderung. Jones selbst definiert sich demgemäß als dreifache Bedrohung: »Ich bin behindert, ich bin lesbisch und ich bin ein Arschloch.«

Ebenfalls »Now Show«-Gast und als Gewinner von »Britain’s Got Talent« 2018 zu nationaler Berühmtheit gelangt ist Lee Ridley alias »Lost Voice Guy«. Ridley kann seit frühester Kindheit nicht mehr sprechen und verwendet bei seinen Shows einen Sprachcomputer. Auch er thematisiert den allgemeinen Umgang mit dem Thema Behinderung, etwa den Begriff der »besonderen Bedürfnisse« – hier des besseren Wortspiels wegen im Original: »It’s all special needs, special schools, Special Olympics. I don’t know what is so special about me, which is why it always alarms me when I hear about special forces going to war.« Manche Gags wie »Als mir klar wurde, dass ich meine Stimme wohl für immer verloren hatte, war ich sprachlos« oder »Ich bin ein Stand-up-Comedian, der es kaum schafft, alleine aufzustehen« kommen vielleicht ein wenig zu naheliegend daher; wenn der »Lost Voice Guy« aber zu einer Queen-Imitation ansetzt, bei der sich einfach die Computer- in die Königinnenstimme verwandelt, erinnert mich das beinahe an die Qualität Kaufmanscher Anti-Parodien.

Sowohl Ridleys als auch Jones’ Auseinandersetzung mit dem disabled elephant in the room möchte ich Ihnen elefantenschwer ans Herz legen. Und wen das nicht überzeugt, der sei auf die Ridleysche Losung verwiesen: »Wenn ihr nicht über den behinderten Typen lacht, ist das eure freie Entscheidung, aber ihr werdet dafür halt in der Hölle schmoren.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt