Humorkritik | August 2020
August 2020
If something is unintentionally funny, you ought to know.
If you intended it to be very serious and dramatic, but actually it’s funny, then you are in trouble.
Margaret Atwood
Lustige Ethnochemie
Es ist vermutlich unvermeidbar, in diesen aufgedrehten Zeiten didaktisch korrekt darauf hinzuweisen, dass sogar ein vor Vorurteilen triefendes Buch auf seine Weise »lehrreich« sein kann: »Die Lektüre kann den heutigen Generationen vor Augen führen, dass der europäische Einigungsprozess einen großen Gewinn darstellt«, schreibt der Mitherausgeber Thomas Höpel mit tiefem Ernst und werweiß zu Recht im Vorwort der deutschen Ausgabe von Edgar Bérillons 1917, also mitten im Ersten Weltkrieg, in Frankreich erschienenem Buch »Die Psychologie der deutschen Rasse« (Wallstein). In der Tat ist das Werk übel rassistisch. Allerdings auch komisch. Mich zumindest hat es amüsiert, was für einen parawissenschaftlichen Aufwand Bérillon, im Hauptberuf Psychiater, treibt, um der Deutschen Minderwertigkeit zu entlarven. Ähnlich wie Otto Weininger 1903 in seinem skurrilen Bestseller »Geschlecht und Charakter«, in dem stich- und hiebfest bewiesen werden sollte, dass Frauen dümmer sind als Männer, bemüht Bérillon allerlei Kapazitäten, Disziplinen und Methoden, etwa eine neuartige »Ethnochemie« oder die »vergleichende Psychologie, eine unabhängige und von jeglichen metaphysischen Gedankengängen freie Wissenschaft«, um auf logisch-empirischen Wegen und ganz sachlich zum gewünschten Resultat zu kommen: »Die Nase der Deutschen wurde nicht zum Riechen erschaffen. Es ist die Nase von Wachhunden.« Des weiteren hat der Deutsche einen »großen Appetit auf Fettes und kohlenhydratreiche Nahrung«, so dass »die Natur beim Deutschen rein germanischer Rasse Grund und Zweck des Daseins in den Bauch verlegt hat«. Dies bewirkt eine »unverhältnismäßige Ausdehnung des Bauches«, die so erheblich ist, dass deutsche Särge eine Höhe aufweisen, »die uns immer übertrieben vorkommt«, und hat auch Folgen für den rein germanischen Stoffwechsel, zum Beispiel den »urotoxischen Koeffizienten«: Französische Wissenschaftler hätten festgestellt, »dass man 45 Kubikzentimeter französischen Urin benötigt, um ein Kilogramm Meerschweinchen zu töten, das gleiche Ergebnis aber schon mit etwa 30 Kubikzentimetern deutschem Urin erzielt wird«. Einigermaßen geschickt, aber natürlich auch gemein, dass Bérillon bei seinen Analysen gern deutsche Geistesgrößen als Gewährsmänner zitiert: Luther, Heine, Nietzsche, Kant, Schopenhauer (»Der wahre Nationalcharakter der Deutschen ist Schwerfälligkeit«).
Dass Bérillon alle Deutschen über einen Kamm schert, ist übrigens nicht wahr, im Gegenteil wird noch zwischen den Sub-Rassen differenziert: »Die bayerischen Rundschädel spielen zahlenmäßig und auch, was ihren Einfluss betrifft, in den politischen Entscheidungsgremien eine sehr eingeschränkte Rolle«. Wer wollte da widersprechen? M. Söder vielleicht? Harmlos zwar ist der Deutschen leidenschaftliche Liebe zu »unzähligen Arten von Würsten«, insgesamt aber zeugen ihre »geistigen Veranlagungen« von einer »sehr ausgeprägten Minderwertigkeit sowohl auf psychischem als auch auf moralischem Gebiet«. Ob Bérillons Pamphlet auf moralischem Gebiet abzulehnen ist, kann ich als minderwertiger Deutscher natürlich nicht beurteilen; auf humorkritischem Gebiet besteht es.