Humorkritik | August 2020
August 2020
If something is unintentionally funny, you ought to know.
If you intended it to be very serious and dramatic, but actually it’s funny, then you are in trouble.
Margaret Atwood
Klowitze aus der US-Antike
4022 n. Chr.: Nordamerika ist ausgestorben. Schuld ist eine menschengemachte Katastrophe, bei der zu Beginn des 21. Jahrhunderts »aufgrund einer versehentlichen Senkung der Portokosten für Postwurfsendungen« die gesamten USA unter »unzähligen Tonnen Werbebroschüren, Prospekten und kleinen Gratisbehältern einer Substanz namens ›Free‹ begraben« wurden. Recht viel mehr weiß man im fünften Jahrtausend nicht über die untergegangene Zivilisation der Yankees – bis dem Amateurforscher Howard Carson eine sensationelle Entdeckung gelingt: ein versunkenes, erstaunlich gut erhaltenes Motel aus dem späten 20. Jahrhundert.
Der Mainzer Nünnerich-Asmus Verlag, hauptsächlich zuständig für Archäologisches, hat dieses »Motel der Mysterien« des Amerikaners David Macaulay aus dem Jahr 1979 jüngst, nun ja: ausgegraben und ins Deutsche übersetzt. Ihren Hauptwitz bezieht die »Grafik-Novelle« (Verlagsbezeichnung) aus der Ehrfurcht, mit der sie eine 3000 Jahre alte Absteige zum Kult- und Bestattungsort umdeutet: Auf dem antiken Parkplatz stünden »recht frei interpretierbare Metallskulpturen« (=Autos), im Pool seien früher die Verstorbenen gewaschen worden, das »Bitte nicht stören«-Schild an einer Zimmertür, »streng nach den Proportionen der klassischen Schönheit konzipiert«, wird zum »glänzenden Heiligen Siegel« erklärt, das »das Grab und die Bestatteten in alle Ewigkeit schützen« soll. Der Fernseher ist ein »Altar«, die Badewanne, in der ein Skelett modert, ein »glänzend weißer Sarkophag« und das Klo die »Heilige Urne«, aus deren Spülkasten die rituelle Bestattungsmusik erklingt: »Wenn man am äußeren Hebel zog, begann Wasser aus der Heiligen Quelle in die Urne zu fließen. Anschließend sorgte ein innerer Mechanismus für ein konstantes Plätschern des Wassers, das als musikalische Untermalung den Rest der Zeremonie begleitete – und den Toten gleichsam ins Jenseits geleitete«. Das ist eine Weile amüsant, ermüdet dann aber, wenn jedes Möbel gleichermaßen zum »meisterhaft gefertigten« Heiligtum erhoben wird; und Macaulays Zeichnungen leisten meist nicht mehr, als die Textwitze zu illustrieren, etwa wenn Carsons Kollegin Harriet Burton vor lauter Begeisterung das »Heilige Collier« anlegt (eine Klobrille). Und doch gelingt Macaulay auf den letzten Seiten noch eine weitere Drehung, nämlich indem er »Souvenirs und hochwertige Reproduktionen« aus dem Museumsshop zeigt und somit das zum Kultischen erhobene Triviale auch noch zur Ware macht: Ein angebotenes Kaffeeservice »besteht komplett aus Nachbildungen der Heiligen Urne von Grab 26. Eine berühmte britische Porzellanmanufaktur produziert die Kaffeetassen; die Urnen-Kanne aus massivem Silber wird in unseren Werkstätten gefertigt«, und so dürfen die Museumsbesucher im Jahr 4022 dann also zu Hause ihren Kaffee aus kleinen Kloschüsselchen schlürfen. Prost, Hobbyarchäologen der Zukunft!