Humorkritik | August 2020

August 2020

If something is unintentionally funny, you ought to know.
If you intended it to be very serious and dramatic, but actually it’s funny, then you are in trouble.
Margaret Atwood

Weißer König, 60

Der Comic-Künstler Ralf König, dessen ausdrücklich schwulen Werkteil ich hier schon gelobt habe, wird 60, und beim Wiederlesen alter Bände hatte ich auch den Comicroman »Sie dürfen sich jetzt küssen« (Rowohlt 2003) in der Hand. Eine tragende Rolle spielt darin ein junger, latent homosexueller türkischer Kleindealer namens Gökhan, der als Karikatur eines jungen, latent homosexuellen, darum homophoben Türken gezeichnet wird: »Ey isch bin kein Tunte, verstehste? Ich find scheiße wenn tuntisch! Boah, guckst du dem Tuss, was dem macht hier! Dem is voll geil, dem Tuss!« Ob Identitäts-, Rassismus- und verwandte Debatten damals schon genauso an der Tagesordnung waren wie heute, entzieht sich meiner Erinnerung, und trotzdem (und deshalb) die Frage beim Wiederlesen: Darf man das? Oder muss man sogar?

Die erste einfache Antwort: Nein. Der retardiert redende, im Verlauf sogar gewalttätige türkische Jungdealer ist ein böses, rassistisches Stereotyp. Die zweite einfache Antwort: Der Ethnolekt sprechende, impulsive junge Mann – für die Hauptfigur Paul, wie alles viril Dunkelhaarige, ein verlässliches sexuelles Stimulans – ist als Karikatur notwendig überzeichnet, sein Dealen handlungsstiftend und Homophobie ein Problem, das unter türkischen jungen Männern gewiss nicht kleiner ist als unter deutschen, die in früheren Bänden als »Schwule tickende« (zusammenschlagende) vorkommen.

Trotzdem, und hier verlassen wir das Gelände der einfachen Antworten, steht die Erzählung, was Gökhan (und übrigens auch dessen Schwester) angeht, an der Seite der weißen Mehrheitsgesellschaft, die sich damals seit einem Jahrzehnt über »Kanak-Sprak« beömmelte, und dazu passt, dass »Sie dürfen sich jetzt küssen«, der Titel verrät’s, den Hochzeits- bzw. Verpartnerungsversuch der König-Figuren Konrad und Paul zum Thema hat. Es bleibt indes beim Versuch, und König bleibt der, der sich auch von anderen Minderheiten nicht ticken lassen will, wenn seine weißen, eloquenten Figuren das Tier im Mann da finden, wo auch der Spießer es vermutet. Dessen Gründe freilich viel weniger freundlich sind.

Übersichtlicher ist da das komische Meisterwerk »Bullenklöten« (1992, Verlag Männerschwarm), denn schweinegeile, homophile spanische Bauarbeiter (»Du kannst mir Asch lecke«) riefen damals zwar noch das bayerische Landesjugendamt auf den Plan, lockten aber keinen Stammtisch mehr hinterm Bier hervor. Jedenfalls als spanische Bauarbeiter nicht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg