Humorkritik | September 2019

September 2019

Einen lustigen Text zu schreiben ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, um eine Aggression akzeptabel zu machen.
Michel Houellebecq

Verschenkte Stoffe

Es gibt sehr gute Ideen, aus denen eher mäßige Filme werden. »Yesterday«, Regie Danny Boyle, gehört in diese Kategorie.

Dass nach einem weltweiten Stromausfall bestimmte Phänomene kollektiv in Vergessenheit geraten, ist zwar durch nichts zu erklären, wird indes zu einer sehr guten Idee, wenn es sich bei einem dieser Phänomene um die Beatles und ihr Gesamtwerk handelt und derjenige, der dieser Vergesslichkeit entgeht, da er im entscheidenden Moment durch einen Unfall kurz das Bewusstsein verlor, ein erfolgloser Straßenmusiker ist. Zunächst kann er sein Glück, jetzt alleiniger Besitzer und Benutzer sämtlicher Beatles-Songs zu sein, kaum fassen, und das ist noch lustig. Was Richard Curtis, ein routinierter Autor, der Erfolge wie »Bridget Jones«, »Notting Hill«, »Love Actually« oder »Four Weddings and a Funeral« mitverantwortet, aus dieser unglaubhaften Voraussetzung – die ich gern glaube, weil ich sie glauben möchte – macht, das hat mich etwas enttäuscht. Nämlich das Erwartbare: Der arme Musikant ist flugs auf dem Weg zum größten und besten Songwriter der Welt, und um ihn aufzuhalten, braucht’s eine hübsche Mathematiklehrerin, die ihn gemanagt hat, bevor er auf die Erfolgsspur kam. Sodann geht’s etwas wahllos hin und her zwischen Pflicht und Neigung, das heißt: Die Geschichte wird per Psychologie zum braven Ende gebracht. Den Karriereverzicht habe ich dem Helden dann überhaupt nicht abgenommen – weil ich jenen nicht glauben mochte.

Schade ist es auch um einen Stoff, den ein Autor, der sich Philipp Lyonel Russell nennt, zu einem Roman verarbeitet hat: »Am Ende ein Blick aufs Meer« (Insel Verlag; Übersetzung: Christoph Hein). Nacherzählt wird das lange Leben von Pelham Grenville Wodehouse (1881–1975), der mit abgekürzten Vornamen zu einem der erfolgreichsten Romanciers seiner Zeit wurde. Von seinen komischen Qualitäten habe ich hier schon geschwärmt. P.L. Russell zeigt davon keine: Der Ton ist bieder, die Dialoge sind platt, das Tempo ist lahm und wird durch allerhand Wiederholungen noch verschleppt. Selbst aus der spannendsten Episode in Wodehouses Biographie – er verträumt die Besetzung Frankreichs in seinem normannischen Ferienhaus, wird von den Deutschen in ein oberschlesisches Lager gesteckt, dann jedoch auf Intervention belesener Nazis nach Berlin geholt, wo mit ihm ein paar Radioansprachen für seine britischen Landsleute aufgezeichnet werden, die launig genug ausfallen, um ihm nach dem Krieg einen Verratsprozess einzubringen –, selbst daraus zieht Russells Roman weder Spannung noch Komik. Dass Wodehouse als Figur den Spitznamen »Spaßvogel« sowie den Namen »Frederick Bingo Mandeville« tragen muss, nur um einen matten Scherz mit dem Mittelnamen zu rechtfertigen (»Lotterie«), mag als Beweis genügen. Festgenommen wird »Bingo« übrigens von einem Oberst namens »Besserker«.

Doppelt schade also. Denn kaum etwas ist ärgerlicher als Komik, die nur behauptet wird.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Helen Fares, c/o »SWR« (bitte nachsenden)!

Sie waren Moderatorin des Digital-Formats MixTalk und sind es nun nicht mehr, nachdem Sie ein launiges kleines Video veröffentlicht haben, in dem Sie zum Boykott israelischer Produkte aufriefen, mit Hilfe einer eigens dafür programmierten App, die zielsicher anzeigt, wo es in deutschen Supermärkten noch immer verjudet zugeht (Eigenwerbung: »Hier kannst Du sehen, ob das Produkt in Deiner Hand das Töten von Kindern in Palästina unterstützt oder nicht«).

Nach Ihrem Rauswurf verteidigten Sie sich in einem weiteren Video auf Instagram: »Wir sind nicht antisemitisch, weil wir es boykottieren, Produkte von Unternehmen zu kaufen, die Israel unterstützen. Ein Land, das sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Genozid verantworten muss, weil es Zehntausende von Menschen abgeschlachtet hat.« Da sich aber auch Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, war Ihre Kündigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ja ohnehin einvernehmlich, oder?

Kann es sich nicht anders vorstellen: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann