Humorkritik | September 2019

September 2019

Einen lustigen Text zu schreiben ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, um eine Aggression akzeptabel zu machen.
Michel Houellebecq

Wahrheitspädagogik

Ein komisches Fernsehformat feiert Jubiläum und wird zu diesem Anlass mit einer Festschrift bedacht: »Die Rache des Mainstreams an sich selbst« heißt sie und ist zum fünfjährigen Bestehen der öffentlich-rechtlichen Kabarettschau »Die Anstalt« im Westend-Verlag erschienen. Wie zu erwarten kommen mit Max Uthoff und Claus von Wagner die prominenten Gesichter der »Anstalt« zu Wort, und auch das Revuepassierenlassen der mehr oder weniger großen Stunden der vergangenen Jahre durch Ensemblemitglieder und ausgewählte Wegbegleiter gehört in solch ein Werk wie eine Stand-up-Nummer in die Sendung.

Doch Dietrich Krauß, Herausgeber der Festschrift und Redakteur der »Anstalt«, fügt dem Chor von Lobhudelei und Selbstpreisung auch einen Text zum Verhältnis von Satire und Journalismus hinzu. Und der ist bemerkenswert selbstkritisch: »Die polemische Selbstgewissheit satirischer Entlarvungsrhetorik suggeriert dem Publikum eine Gewissheit mit kritischem Zungenschlag, die in unsicheren Zeiten anziehend wirkt und die die Begrenztheit auch ihrer zugespitzten Teilwahrheiten vergessen lässt.«

Noch konkreter behandelt die FR-Redakteurin Katja Thorwarth diese »Teilwahrheiten«, wenn sie in ihrem Beitrag die »Wahrheitspädagogik« Uthoffs / von Wagners anspricht: »Die beiden sagen in ihrer Sendung scheint’s immer nur eins: die Wahrheit, natürlich verpackt in das Mäntelchen der Satire.« Während der Krim-Krise im Jahr 2014 aber »stolpern die Wahrheitspädagogen über ihren eigenen Anspruch«, betreiben, im Widerstand gegen die vermeintlich einseitige Berichterstattung westlicher Medien, »Komplexitätsreduktion«, die der Unübersichtlichkeit der Lage nicht gerecht werde: »Selbst wenn es als politisches Kabarett gelabelt ist, das Vorgehen bleibt unredlich und dient einzig dazu, in diesem Fall die Medien als Feindbild zu etablieren«.

Den öffentlich-rechtlichen Kabarettisten wird so ihr Selbstverständnis zum Verhängnis. Denn sie versuchen, so wiederum Krauß, jene »informativen Leerstellen« zu füllen, die »offenbar Ergebnisse eines herrschenden Diskurses mit seinen ideologischen Prämissen sind und die offenbar ganz bewusst nicht geschlossen werden«. Das ist, als Prinzip, nicht falsch; wird aber dann zum Problem, wenn die Moderatoren der »Anstalt« im Ton eines Predigers operieren. Denn so produzieren sie neue Lücken in einem scheinbaren Gegendiskurs: eine selbstgebaute Zwickmühle, der sie aufgrund mangelnder Komik und zu großer Ernsthaftigkeit in der politischen Agenda nicht mehr entkommen.

Die Freude am Witz, am Hellen und Schnellen, bleibt dabei auf der Strecke. »So lustig, wie es politisches Lehrtheater zulässt« nannte ich die »Anstalt« einmal (TITANIC 05/2016). Zweifelsohne liefert sie einen sehr nötigen Beitrag zum öffentlichen Diskurs – aber, um es mit Friedrich Schlegel zu sagen: »Das Schlechteste daran scheint mir der gänzliche Mangel der unentbehrlichen Ironie.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt