Humorkritik | September 2019
September 2019
Einen lustigen Text zu schreiben ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, um eine Aggression akzeptabel zu machen.
Michel Houellebecq
Finger weg, Freud!
Jeder Mensch ist ein Genie? Ja, wenn er schläft. D.h. wenn er träumt. Leider halten im Wachzustand die wenigsten Leute das Niveau; und kaum einer hält, wie Adorno, seine Träume fest (»Traumprotokolle«, Suhrkamp). Oder wie, lange vor ihm und lange auch vor Sigmund Freud: Johann Peter Hebel. Der bewies nicht nur sein Talent in den altbekannten Kalendergeschichten, sondern sein Genie in den zwischen 1804 und 1812 aufgeschriebenen Traumgesichten (nachzulesen auf 13 Seiten in Band 4 der »Gesammelten Werke«, bei Wallstein).
»Man hat doch im Schlaf ganz andere Einfälle als im Wachen«, befand er und träumte von einem Löwen, der »sich mit den Vorderfüßen mir auf die Achseln legte«, was Hebel anfangs ängstigt, »als er aber mit mir zu sprechen anfieng; ward mir ganz wohl in seiner Gesellschaft, u. ich wunderte mich, daß man nicht an ieder gelehrten Schule sprechende Löwen halte, – als Professoren der Naturgeschichte oder der thierischen Psychologie oder der Geographie von Afrika, das weiß ich nicht.« Soweit der Schulmeister Hebel. Der Junggeselle Hebel hingegen sieht ein »ausnehmend nettes Mäuslein« im Zimmer herumspringen; die Maus »bekannte sich zu einem Alter von 2 1/2½ Jahren u. zum weiblichen Geschlecht. Ich fragte sie, ob sie etwa verlobt sey, da sie so sehr betrübt scheine.« Der Schriftsteller Hebel träumt ebenfalls: »Einem wurde der Kopf abgehauen. Kopf u. Rumpf lebten fort. Wenn aber der Rumpf einen Brief schreiben wollt mußte er zum Kopf sitzen, wie zu einer Laterne.«
Freud glaubte, aus Träumen einen rationalen Kern herausschälen und sie dadurch nutzbar machen zu müssen; ein Ansatz, der durchaus der um Vernunft ringenden Gottesgelehrsamkeit gleicht. Und siehe, der protestantische Theologe Hebel erblickte träumenderweis’ Menschen »mit dem Mahlzeichen Jesu am Körper, und mit einer Sonnenuhr auf der Brust gemahlt. Erstens frappirte mich. Leztens machte mir alles begreiflich.« Und das ist doch die Hauptsache!