Humorkritik | Juni 2018

Juni 2018

Gravitätischer Ernst ist recht eigentlich das Wesen des Betrugs und der Heuchelei. Er läßt uns nicht nur andere Dinge mißverstehen, sondern ist fast stets in Gefahr, sich selbst zu verfehlen.
Anthony Ashley-Cooper, 3. Earl of Shaftesbury

Von Lachern und Lacherchen

Filme, die das Leben von (realen oder fiktiven) Komikern beleuchten, gibt es einige: »Der Mondmann« über Andy Kaufman, »The Comedian« mit Robert De Niro oder »King of Comedy« von Martin Scorsese. Die Serie »The Marvelous Mrs. Maisel«, 2017 erstmals ausgestrahlt und seit kurzem auch in deutscher Synchronisation konsumierbar, ist jedoch das erste mir bekannte filmische Erzeugnis, in dem eine (halbfiktive) Komikerin im Fokus steht. Es ist die liebreizende Hausfrau und Mutter Midge Maisel (Rachel Brosnahan), wohnhaft im New York der fünfziger Jahre, verheiratet mit einem Geschäftsmann, der sie eines Nachts zu ihrem großen Erstaunen verläßt (»Das ist mein Koffer. Du verläßt mich mit meinem eigenen Koffer?«); woraufhin Mrs. Maisel spontan und sternhagelvoll noch in derselben Nacht auf die Bühne eines Nachtklubs wankt und einen tragikomischen Witz nach dem anderen über ihr gescheitertes Familienleben heraushaut. Die Zuschauer johlen, die Polizei ist ihr wegen »unsittlichen Verhaltens« auf den Fersen, kurz: Sie tut den ersten Schritt auf einem recht steinigen Weg zur Komikerin.

Wenig überraschend lernen wir, daß die Comedywelt der Fünfzigerjahre eine männliche war. Die einzige etablierte Komikerin der Serie ist Sophie (Jane Lynch), die auf der Bühne die »einfache Hausfrau aus Queens« gibt, privat jedoch eine versnobte Aristokratin ist und Mrs. Maisel mit sehr speziellen Tips versorgt: »Wenn Sie als Komikerin was werden wollen, machen Sie sich häßlich!« Entdeckt wird Mrs. Maisel übrigens von keinem professionellen Manager, sondern von der Bardame des Nachtklubs, der brummeligen Susie (Alex Borstein), größtmögliche Kontrastfigur und perfekter Sidekick der grazilen, gutbürgerlichen Mrs. Maisel. Susie will ihre einzige »Klientin« groß rausbringen, hat aber keinen Schimmer, wie das Comedy-Business funktioniert: »Drei Lacher mehr als letztes Mal, plus noch ein paar Lacherchen«, wird nach einem Gig im Notizbuch festgehalten. Mehr Ahnung vom Geschäft hat da schon die Serien-Erfinderin selbst, Amy Sherman-Palladino, die nicht nur Schöpferin der gleichfalls ganz lustigen »Gilmore Girls« ist, sondern als Tochter eines New Yorkers Stand-up-Komikers erfahrungsmäßig aus dem vollen schöpfen kann. Und so ist auch der milieubedingte Schlagabtausch zwischen Susie und Mrs. Maisel, abseits des Rampenlichts, lustiger als die eigentlichen Bühnengags. Beispiel gefällig? Mrs. Maisel erzählt ihrem Publikum wieder einmal vom Abgang ihres Gatten und erklärt, das Baby, das er ihr hinterlassen habe, sähe »Winston Churchill immer ähnlicher – dieser riesige Kopf! Aber das ist doch kein Grund, uns zu verlassen!« – woraufhin das Publikum wie auf Knopfdruck loswiehert. Das tut es auch bei der bloßen Erwähnung des Wortes »Hintern«; aber gut, es geht hier eben um Fünfziger-Jahre-Humor. Im zeithistorischen Kontext betrachtet, rufen Mrs. Maisels Bühnenwitze vielleicht kein Lachen, hier und da aber doch ein paar schöne Lacherchen hervor.

Mir hätten mehr Späße über das Komikermilieu noch besser gefallen; ich hoffe, daß mich die bald erscheinende zweite Staffel dahingehend zufriedenstellen wird.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg