Humorkritik | Juni 2018

Juni 2018

Gravitätischer Ernst ist recht eigentlich das Wesen des Betrugs und der Heuchelei. Er läßt uns nicht nur andere Dinge mißverstehen, sondern ist fast stets in Gefahr, sich selbst zu verfehlen.
Anthony Ashley-Cooper, 3. Earl of Shaftesbury

Mut zur Lücke

Da müßte sich ein Verlag (hier: Rowohlt), der Pressezitate wie »Zum Brüllen komisch und zum Heulen schön« (»Spiegel online«) und »Das ist einer der wenigen deutschen Romane, der mir die Lachtränen in die Augen treiben konnte« (Denis Scheck, mit tränentreibender Grammatik) auf Buchumschläge druckt, nicht wundern, wenn ich genauso wüst übertreibend zurückschlüge; ich muß aber gar nicht. Sondern kann, Lucy Frickes Roman »Töchter« betreffend, allerruhigsten Blutes feststellen, daß er zum Brüllen unkomisch ist und zum Heulen häßlich.

Komik und Literatur benötigen nämlich Lücken, etwa zwischen Form und Stoff, Ich und Welt, wahr und falsch, und mit etwas Glück leuchtet gerade durch diese Lücken ein Licht, das dann (komische) Kunst ist. Bei Fricke hingegen ist alles dicht, ja geradezu verrammelt: Nichts bleibt ungesagt, nichts wird angedeutet, nichts der Phantasie überlassen; die reine Hölle des So-Seins, geschlossene Fenster, Journalismus. Ein notdürftig mit Handlung, noch notdürftiger mit Aroma und flott sarkastischen Scherzchen kaschiertes »Brigitte«-Dossier über Hauptstadt(single)frauen in der Mittlebenskrise, und gegen die Psychologie wäre nichts einzuwenden, wenn der Roman bloß irgend mehr wäre und die verräterisch glossierend vorgetragenen Selbsterkundungslitaneien der Ich-Erzählerin nicht dessen radikale Geheimnislosigkeit spiegelten. Noch die Ironie aus dem Zutatenregal ist hier Teil totaler Eigentlichkeit, und wer das für Kunst oder komisch hält, gehört dann wohl zum Betrieb, dessen Korruptheit (»wurde für ihre Arbeiten mehrfach ausgezeichnet«, mehrmals, zum Henker) ich vielleicht brüllend komisch fände, wenn sie nicht so unschön zum Heulen wäre.

Wie man’s andersherum weniger falsch machen kann, zeigt Judith Kellers im Luzerner Kleinverlag Der gesunde Menschenversand (sic) erschienenes Buch »Die Fragwürdigen«, das Vignetten, Augenblicke, komisch-kritische Reflexionen und Sprachmaterialkunde (»Anatol war arbeitslos. Er geht jetzt einer Arbeit nach. Sie geht ungerührt durch die Tage, er hinterher«) versammelt und also im Gegenteil die Lücke inszeniert. Das ist je kürzer, desto besser: »Géraldine kommt alles bekannt vor. Darum findet sie ihr Auto nicht wieder.« Je länger und also erzählerischer die Ausschnitte, desto drückender werden freilich die Lücken des Schreibstudiums (Leipzig, Biel), das im Vermitteln zwischen Form und Welt nur eine Form vermittelt zu haben scheint, die zu ungenügend ist, um sich selbst zu genügen. Das mag den luftigen, tendenziell regressiven Bedürfnissen einer »stark gewachsenen Spoken-Word-Szene« (Verlag) entsprechen, deren habituelle Formschwäche von der freundlichen Torheit, einem Debütbändchen ein (wenn auch kleines) Nachwort mitzugeben, allerdings nicht kaschiert, sondern noch beleuchtet wird.

Und trotzdem – und mal abgesehen vom vorzüglichen Geburtsort der Autorin: Lachen, Schwyz – war’s frische Luft. Das ist ja heute, siehe oben, mehr als nichts.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg