Humorkritik | Juni 2017

Juni 2017

Über einen Witz lachen, den man gar nicht lustig findet, ist wie einen Orgasmus zu simulieren, aber ungleich riskanter. Denn das falsche Lachen hat meist zur Folge, daß gleich noch einer nachgeschoben wird.
Martin Knepper, Facebook

Willkommen bei den Kaurismäkis

Bis ein heikles Thema humoristisch verwandelt ins Kino gelangt, muß offenbar immer erst einige Zeit vergehen: Satiren über Hitler gibt es inzwischen reichlich, (tragi-)komödiantische Filme über islamistischen Terror hingegen können Sie an wenigen Fingern abzählen (siehe etwa TITANIC 10/10). Bei der aktuellen Flüchtlingscausa genügte bisher gar ein einziger: der Daumen. Daß dieser nur nach unten deuten konnte, als sich das gesamte Gruselkabinett des deutschen Films mit »Willkommen bei den Hartmanns« daran versuchte, war abzusehen (siehe TITANIC 1/17).

Abzusehen war auch, daß es Aki Kaurismäki mit »Toivon tuolla puolen« (»Auf der anderen Seite der Hoffnung«) besser machen würde. Nämlich so: Trotz sachlicher wie menschlicher Argumente scheitert der Asylantrag des illegal eingewanderten syrischen Flüchtlings Khaled an der finnischen Bürokratie. Also flieht er vor der Abschiebung. Zur gleichen Zeit hadert Hemdenverkäufer Wikström ebenfalls mit seinem Leben, setzt all sein Erspartes in eine Partie Poker – und siegt. Seinen Gewinn investiert er in die Spelunke »Zum goldenen Krug«, wo er auf Khaled trifft: »Und wer bist du?« – »Ich wohne hier, das ist mein Schlafzimmer!« – »Auf keinen Fall, das ist mein Müllplatz!« – »Sagt wer?« – »Sage ich.«

So finnisch-lakonisch gelingt es Kaurismäki, ein humanitäres Großdesaster in all seiner Komplexität auf Spielfilmlänge zu schrumpfen. Khaled findet im »Goldenen Krug« schließlich Arbeit und Zuhause. Die Mitarbeiter – die allesamt einem Helge-Schneider-Film entsprungen zu sein scheinen – helfen ihm, seine Schwester, die letzte noch lebende Verwandte, nach Helsinki zu holen, um ihr und Khaled ein neues Leben in Deutschland zu ermöglichen. Die Antwort der Schwester auf solche Pläne überbringt ihnen ihr potentieller Schlepper: »Sie ist nicht mitgekommen. Sie sagt, Deutschland ist ein besetztes, latent noch immer schwer faschistisches Land, und du kannst sie am Arsch lecken.«

Warum Khaled so viel Hilfe erfährt, bleibt unklar. Kaurismäkis simple Antwort lautet: Philanthropie. Vielleicht liegt es aber auch bloß am omnipräsenten, zum Trinken verführenden finnischen Tango. Daß man dem Regisseur sein Alter inzwischen anmerkt (beispielsweise daran, daß er Sushi-Restaurants für einen neuen Modetrend hält), sei erwähnt, hat mich aber nicht besonders gestört.

Kleiner Anspiel-Tip zur Einstimmung: Das hinreißend-versoffene Plädoyer für allgemeine Humanität, das Kaurismäki auf der Pressekonferenz der Berlinale hielt. Wenn Sie das gesehen haben, sind Sie bereit für den Film.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella