Humorkritik | Januar 2017

Januar 2017

»… was wir Deutschen Humor nennen, die wunderbare, aus der tiefsten Anschauung der Natur geborne Kraft des Gedankens, seinen eignen ironischen Doppeltgänger zu machen, an dessen seltsamliche Faxen er die seinigen und – ich will das freche Wort beibehalten – die Faxen des ganzen Seins hienieden erkennt und sich daran ergetzt …«
E.T.A. Hoffmann

Willkommensquatsch

Zwei Überraschungsfilme kamen im Kinojahr 2016 aus Deutschland. Der eine heißt »Toni Erdmann« und ist trotz der vielen Filmpreise, die er schon bekommen hat, ein gelungenes Beispiel für eine Komödie, die gar keine sein will. Konzentriert auf zwei Personen, vermeidet er fast jede erwartbare Wendung und schlingert bis zum lakonischen Ende stilsicher am Rande des Realismus entlang (siehe auch TITANIC 7/16). Der andere, »Willkommen bei den Hartmanns«, ist v. a. ein Publikumserfolg, der größte sogar, den eine deutsche Produktion 2016 zu verzeichnen hatte. Als ich ihn sah, waren es bereits über zwei Millionen Zuschauer, und selbst zur Mittagszeit war das Kino halbvoll, größtenteils mit Jugendlichen im schulpflichtigen Alter.

Was sie zu sehen bekamen, sah aus wie eine Weizenbierwerbung: München strahlte. Unter dem durchgehend weißblauen Himmel tummelten sich ungefähr ein Dutzend Figuren, die sich der Autor Simon Verhoeven ausgedacht hat: der Chefarzt (Heiner Lauterbach), der sich, etwas zu spät, eine leichte Midlife-Krise gönnt; seine Gattin (Senta Berger), mit goldenem Herzen und Alkoholproblemchen; beider Sohn (Florian David Fitz), der Erfolg im Beruf mit einer Scheidung und einem Burnout verbindet; dessen Sohn, ein reizender Kindermundbesitzer, der gern wie ein Gangsta-Rapper redet, was die Oma natürlich – doch lassen wir das, es wird nur schlimmer.

Am schlimmsten ist freilich, daß der nigerianische Flüchtling, der von dieser Filmfamilie aufgenommen wird, so brav ist, daß es zum komischen Culture-Clash gar nicht erst kommt. Was dieser Diallo, der angeblich kurz zuvor mit knapper Not den Boko-Haram-Terroristen entflohen ist, mitbringt, ist den Hartmanns höchst vertraut: Familiensinn, Ordnungsliebe, Heimwerkerfleiß. Eine gewisse Liebenswürdigkeit ist alles, was er seinen deutschen Gastgebern voraushat. Auch seine Sprachkenntnisse reichen für schwere Lebenshilfe und leichte Gartenarbeit, welche an die gute alte Südstaatenherrlichkeit – doch genug davon. Daß Regisseur Verhoeven glaubt, sich angesichts solcher Klischeeballung über Rosamunde Pilcher lustig machen zu dürfen, ist mehr als gewagt: Ob Pilchers Melodramen oder Verhoevens Komödie, alle operettenhaften Happyends ähneln einander. Da gibt es nichts zu lachen.

Eines noch: Ich habe im Prinzip nichts dagegen, daß deutsche Schüler offenbar gleich klassenweise ins Kino geschickt werden, um Integrationsbereitschaft zu lernen – mußte aber feststellen, daß sie nur mäßiges Interesse an diesem Sozialkundeunterricht aus der Benimmfibel entwickelten und sich zwei Stunden lang lieber mit Smartphones und Snacks, Mädchenärgern und Paarschiffen die Zeit vertrieben. Der Schaden hält sich also in Grenzen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick