Humorkritik | April 2016

April 2016

»Der Bonze des Humors ist eine lachende Buddha-Statue, die auf dem Gelände des Parkplatzes beim ›Kaffee Worpswede‹ (Kaffee Verrückt) steht.«
www.kultur-teufelsmoor.de

Fragen über Fragen

Satire bewegt sich irgendwo zwischen Journalismus und Kunst, zwischen in heitere bis zornige Worte gekleideter, aber im Grunde bitterernst betriebener Aufklärung und der Verwerfung herrschender Text- und Bildmächte, dabei die Ambivalenz der Aussage riskierend; das zweite zumeist mit der moralfernen Lust am Lachen ausgestattet und am Rande zum Zynismus operierend, das erste hehr die eigene Abschaffung propagierend, da es ohne beklagenswerte Zustände ja nichts ernsthaft zu verlachen gäbe. Und auch wenn beide Extreme der komischen Herrschaftsverneinung gleichzeitig existieren können, Weltbühne und Dada etwa, möchte man im groben Blick zurück meinen, daß sich aus der favorisierten Prominenz der jeweiligen Form Zyklen der Komik schließen ließen, denen eine nahezu primitive Beobachtung folgt: Je ernster die Lage, desto ernster die Satire. Konnten in der zerbrechenden Demokratie der Zwischenweltkriegszeit auch klügste Polemiker und Satiriker von Kraus bis Tucholsky dem Nationalsozialismus nichts Wirkungsvolles entgegensetzen (im nachhinein möchte man fragen: Wie auch?), erstand in den 1960ern aus diesen und anderen historischen Enttäuschungen der Aufklärung intellektueller Nonsens – ich nenne jetzt mal etwas beliebig Woody Allen, Monty Python, die Welt im Spiegel –, aber eben in den sozial und wirtschaftlich stabilen westlichen Erstweltländern.

Liegt es am mulmigen Gefühl, das dieser Schluß mir gibt, daß ich nicht so recht an der großen neuen Begeisterung für Moralsatire teilhaben will, daß ich nicht mitjubeln will bei den weltweit geteilten Glossen des John Oliver und seiner Sendung »Last Week Tonight«? Mir scheint da einer in seinen zwanzigminütigen Referaten klassischen Aufklärungsjournalismus zu betreiben, zumeist noch nicht mal von eigener Recherche gestützt, aufgelockert durch Witze, die mit dem Thema wenig zu tun haben, häufig aus Vergleichen und Übertragungen popkultureller Herkunft stammen, gewürzt mit vermeintlicher Publikumsteilhabe über ulkige Hashtags und Onlineaktiönchen. Was für eine Welt wünschen sich all die Epigonen Jon Stewarts eigentlich? Was möchten Olli Welke und die Heute-Show, – außer eine kommerziell erfolgreiche und vermeintlich rebellische Pose imitieren? Was ist der komische oder sonstige Mehrwert, wenn der Postillon die Meldung verbreitet, Notrufnummern würden kostenpflichtig, nur um sich später über die Idioten beömmeln zu können, die auf so etwas hereinfallen? Konstituiert das noch irgendeine Form von Witz? Das alles dünkt mir doch nur mehr ein sinnarmes Moralisieren, befreit von einstiger intellektueller und weltanschaulicher Schärfe, das immergleiche Lamento des gesunden Menschenverstands, dessen offensichtliche Notwendigkeit bereits deprimiert. Anders gefragt: Wer will mich mal wieder zum Lachen über den Wahnsinn der Welt bringen, ohne mir noch das gute Gefühl des schlechten Gewissens mitgeben zu müssen? Ist die Lage wirklich schon so ernst, daß es eigentlich nichts mehr zu lachen gibt?

Oder bin ich nur in meine eigene kulturpessimistische Falle getappt, einer schlechten Laune aufgesessen? Wer hilft mir – und sei es nur, indem er mir widerspricht?

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner