Humorkritik | Juni 2015

Juni 2015

»Ich kann euch auf der Stelle jede Menge Briten ohne einen Funken Humor zeigen.«
Eddie Izzard

Gescheiter Schuberth

»Das erste Mal seit seinem Bestehen erschallte der hochkomplexe Ruf des tasmanischen Graurücken-Leierschwanzes durch das Café Schwarzenberg.« Solche Sätze stehen noch ein bisserl schiefer in der Landschaft, wenn die Verlagsinformation einen Rezensenten melden läßt, hier sei wer »sprachlich auf Augenhöhe mit Kraus«, was sprachlich eine Ferkelei ist, während dem Österreicher Richard Schuberth in seiner »Chronik einer fröhlichen Verschwörung« doch höchstens Unfälle passieren: »Er war Lektor und Leiter jener Abteilung des Verlags in München, der auf Mackensen aufmerksam geworden war.« Beim Verlag Paul Zsolnay scheint es an lektoraler Aufmerksamkeit jedenfalls zu mangeln. Und trotzdem hat mich Schuberths Romandebüt über fast 500 Seiten bei Laune gehalten.

Womit? Mit der Geschichte des 70jährigen Wiener Juden und misanthropen Adorniten Katz, den die Bekanntschaft mit der 17jährigen, hochbegabten, erotisch alerten Biggy aus St. Pölten wieder auf die Gasse und die Beine bringt. Denn Katz möchte nicht, daß der jungerfolgreiche reichsdeutsche Schriftsteller Mackensen einen Roman über die jüdische Intellektuelle und KZ-Überlebende Klara Sonnenschein schreibt, mit der Ernst Katz vor Jahrzehnten eine Liebe verband, die mit Klaras Selbstmord endete. Die »fröhliche Verschwörung«, die Katz und Biggy dann anzetteln, um Mackensen daran zu hindern, das zu schreiben, was Katz für Auschwitzkitsch hält, beginnt allerdings erst nach 200 Seiten und wird fast hastig wegerzählt, damit die Figuren wieder das tun können, was sie am liebsten tun: Ansichten austauschen. Katz erklärt Biggy wortreich Kulturindustrie und Biggy Katz, warum die »Simpsons« trotzdem gut sind; Mackensen ist zuweilen israelkritisch, sein Agent die elaborierte Parodie eines Agenten, und aus dem Off steuert die kritische Theoretikerin Sonnenschein Aphorismen, »Haikus« und Briefauszüge bei, was wiederum ein Fall fürs Lektorat gewesen wäre, denn stets räsoniert hier der mit Schuberth (»schreibt Essays, Satiren, Theaterstücke, Drehbücher«) eineiig verwandte Erzähler, der keine Gelegenheit ausläßt, seine Figuren als kulturkritische Agenten aufs evtl. ja informierte Publikum anzusetzen. Zumal aus humorkritischer Perspektive ist das mißlich, denn was immer an der fröhlichen Verschwörung burlesk, satirisch, komisch sein könnte, konkurriert mit dem Mitteilungsdrang und strengen Durchblick des Essayisten.

»Ich wäre ein lausiger Romancier. Glaub’s mir. Man käme mir schnell auf die Schliche, daß ich Handlungen und Figuren nur als Vorwand montieren würd’… Die Romanfiguren wären dort bloß Butler, die den Gedanken Cocktails ans Bett tragen« – sich derart preiswert metafiktional abzusichern ist dann wiederum siebengescheiter, als z.B. meine Expertise erlaubt hätte; aber Schuberth ist kein ungeschickter Monteur, ein recht ausgeschlafener Metaphoriker und guter Dialogredner, und seine Figuren gelingen ihm so plastisch, daß mich mein Interesse an ihnen über die Schwächen der Konstruktion getragen hat, die, recht betrachtet, Schwächen aus Stärke sind: Es ist nämlich viel drin im gescheiten Schuberth, und wenn er beim nächsten Mal so klug ist, darauf zu bestehen, daß ein Lektor, eine Lektorin ihm beim Kanalisieren hilft, dann verfolge ich sein Wirken gerne weiter.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg