Humorkritik | Dezember 2015

Dezember 2015

»Was ist schließlich ein Papst, ein Präsident oder ein Generalsekretär anderes als jemand, der sich für einen Papst oder einen Generalsekretär oder genauer: für die Kirche, den Staat, die Partei oder die Nation hält? Das einzige, was ihn von der Figur in der Komödie oder vom Größenwahnsinnigen unterscheidet, ist, daß man ihn im allgemeinen ernst nimmt und ihm damit das Recht auf diese Art von ›legitimem Schwindel‹, wie Austin sagt, zuerkennt. Glauben Sie mir, die Welt so betrachtet, d.h. so wie sie ist, ist ziemlich komisch. Aber man hat ja oft gesagt, daß das Komische und das Tragische sich berühren.«
Pierre Bourdieu

Geht’s noch?

Als »der Radikale unter den Comedians« (RP-Online) wurde Hagen Rether bezeichnet, Fans lieben seine Art, »Klartext« zu reden, die Frankfurter »Gruppe Morgenthau« hingegen nannte ihn einst in einem Essay den »Jürgen Klopp der deutschen Ideologie«. Mit seinem Programm »Liebe« tourt er seit 2003 durch die Gegend, um dem Publikum am Flügel sitzend einen Abend lang die Leviten zu lesen; bzw. den Abwesenden. Denn auch wenn Rether nach eigener Aussage nichts ferner liegt, als nur »die da oben« abzuwatschen und preaching to the converted zu betreiben, so ist es letztlich doch exakt das, was dabei herauskommt: Durchwegs kokettiert er mit einer Haltung, die behauptet, einen Schritt weiter zu sein als das gemeine Stammtischdenken, und weiß dabei Zerstreuung und Aufklärung in überwiegend pointenlosem Ressentimentgeballer offensichtlich selbst nicht mehr zu unterscheiden. Die Antworten, die er liefert, sind dann auch so einfach wie daneben: »Wir holen uns die innere Balance im Ayurveda-Urlaub in Indien, und den Rest des Jahres jammern wir über die schlechte Ökopolitik von Frau Merkel«, spricht es aus Rether, laut dem sich also schön jeder an die eigene Nase fassen sollte; oder, auf billigironisch: »Klar, die Frau Merkel ist schuld, daß wir bei Amazon einkaufen und bei Starbucks Kaffee trinken und alle zwei Jahre das neue Samsung Galaxy kaufen! Und daß wir für 19 Euro dreimal im Jahr durch Europa fliegen!« Zu plumpem Konzernbashing gibt es plumpes Konsumentenbashing, und am Ende ist es dann eben eine Soße: »Wir sind ein Volk von gierigen Schnäppchenjägern«, heißt es routiniert konsumkritisch; dazu kommt die Schelte der besonders bösen Fleischindustrie, allen voran – logisch – McDonald’s, der Appell, Bio zu kaufen, sowie die Forderung, wählen zu gehen: »Wählen mußt du! Wählen ist wie Zähneputzen: Wenn du’s nicht machst, wird’s braun.« Während die Deutschen sich nach Rether nur allzugerne auf »die da oben« verlassen, meint er andererseits doch genau zu wissen, daß hierzulande einfach seit Jahren falsch gewählt wird. Der Zuschauer bekommt Biederkeit im Gewand des Revoluzzers. Wer den Leuten auf Rethers Art, wie er es nennt, »den Spiegel vorhält«, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Blick nur bis zum Spiegelrand reicht und von ökonomischen und gesellschaftlichen Realitäten gleich gar nichts mehr wissen möchte. So kann Rether dann auch schamlos-naiv aufheulen: »Urlaub ist nur Konsum!« – und bekritteln, daß der Durchschnittsdeutsche in seinen Ferien faul auf der Haut liege und so dumm heimkehre, wie er zuvor verreist sei; statt mit einem eigens geschriebenen Buch, wie, beispielsweise, ein Roger Willemsen. Brav applaudiert das Publikum gegen den selbstverschuldet bildungsfernen Pauschaltouristen, die Feindbilder hängen wieder klar – oben wie unten. Und wer sich Rethers grüngewaschenen Kapitalismus schlicht nicht leisten kann, der soll sich wohl gefälligst schämen. 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg