Humorkritik | Dezember 2015
Dezember 2015
»Was ist schließlich ein Papst, ein Präsident oder ein Generalsekretär anderes als jemand, der sich für einen Papst oder einen Generalsekretär oder genauer: für die Kirche, den Staat, die Partei oder die Nation hält? Das einzige, was ihn von der Figur in der Komödie oder vom Größenwahnsinnigen unterscheidet, ist, daß man ihn im allgemeinen ernst nimmt und ihm damit das Recht auf diese Art von ›legitimem Schwindel‹, wie Austin sagt, zuerkennt. Glauben Sie mir, die Welt so betrachtet, d.h. so wie sie ist, ist ziemlich komisch. Aber man hat ja oft gesagt, daß das Komische und das Tragische sich berühren.«
Pierre Bourdieu

Dumm-Kurzbilanz 2015
An neueren Unappetitlichkeitswortekeligkeiten fiel im abgelaufenen Jahr 2015, über die handelsüblichen volkstümlichen Debilia hinaus, nicht gar soviel auf und ins Gewicht – sieht man von den Kultur-Amöbenwörtern Nr. 1518 und 1519 »Willkommenskultur« und »Anerkennungskultur« ab, die, obwohl gleichfalls nicht ganz neu, vor allem zwischen August und Oktober immer wieder auf uns drauf und verschärft zur Lebenslast fielen – das Flüchtlings- und Asylproblem hat da auch sein wortästhetisches Pendantproblem.
Einen Spitzenreiter an wort- und satz- und sinnlogischer Torheit plazierte aber am 30.9. ganz überraschend und mittendrin in der ohnehinnigen VW-Malaise der Wolfsburg-Trainer Dieter Hecking, der über seinen bisher sehr enttäuschenden Nationalspieler Schürrle dies zu Protokoll gab: »Wir haben eine Erwartungshaltung an ihn, die besser sein muß als das, was er bisher gezeigt hat.« Die den Satz verewigende FAZ empfand das zwar als »erstaunlich klare Worte«; aber in Tat und Wahrheit setzt sich der Schwall, bei dem eigentlich nur gemeint war: »Wir haben uns von ihm mehr erwartet«, aus sage und ziehe den Hut vor (prüfen Sie’s in aller Ruhe nach): fünf Fehlern und schweren Blöditäten zusammen.
Aber auch wenn die Erwartungshaltung an den Schürrle ab sofort weiter verbessert wird – eine neue säkulare Gipfelleistung war das noch nicht; bestenfalls hat Hecking mit seiner Formulierung den Glanzsatz egalisiert, dem in diesem Genre Paul Breitner schon 1985 zum Ausdruck verholfen hat: »Die Qualität des Spiels konnte der Erwartungshaltung nicht standhalten.« Und die seither gehegte erwartungsverbessernde Hoffnung, einer möge doch mal, ein einziges Mal die weitere Steigerung zuwege bringen dergestalt: »Die Erwartungshaltung konnte bei diesem hohen Erwartungshorizont dem Erwartungsdruck nicht standhalten« – auf die müssen wir halt weiterhin bedrückt harren.