Humorkritik | Dezember 2014

Dezember 2014

Wer am Freitag lacht, der wird am Sonntag weinen.
Jean Racine

Heckler und Carr

Daß ich kürzlich den britischen Stand-up-Comedian Jimmy Carr, von dem ich bis dahin nur vereinzelte Fernsehauftritte und ein doch recht binsenweises komiktheoretisches Buch (»Only Joking«, Gotham Books) kannte, in Amsterdam live sah, ist mir Anlaß, zur Abwechslung mal das Publikum zu rezensieren. Nicht, daß Carrs Auftreten über Kritik erhaben wäre – er hatte neben vielen guten Witzen auch einige schwache im Repertoire, und gar solche, die selbst im deutschen Volkszotenschatz verankert sind (»My girlfriend always started to smoke after sex. So we used lubricant«) –, aber viel mehr erstaunte mich die Bereitschaft des mehrheitlich niederländischen Publikums, jede noch so brachiale Pointe mitzumachen. Ein durchschnittliches deutsches Kabarettpublikum wäre vermutlich schon nach den ersten paar Minuten in nackte Empörung ausgebrochen. Ob heitere Verharmlosung von Vergewaltigung (»Rape is such an ugly word. That’s why I call it ›snuggle struggle‹«) oder Brutalität gegenüber Kindern (»Children don’t understand the concept of death. All you need to teach them is a hamster and a hammer«): all dies funktioniert nur vor einem Publikum, das die Uneigentlichkeit komischen Sprechens verinnerlicht hat. Nun kenne ich mich mit niederländischer Komik nicht ausreichend aus, um über die Vermutung hinauszugelangen, es schätze brachialen Humor (»Familie Flodder« etc.); von der angelsächsischen aber, der Carr offensichtlich entsprungen ist, weiß ich, daß ihr Publikum bevorzugt in der besoffen-eskapistischen Stimmung der zahlreichen Comedy-Clubs entsteht, in denen das heckling, das Zwischenrufen und Beleidigen, geradezu zum guten Ton gehört. Weswegen Carr am stärksten war, wenn er auf Publikumszurufe reagierte. Die aber mußte er regelrecht erbetteln: denn die Atmosphäre zwielichtiger Kneipen läßt sich schwer auf die große Bühne eines Eventbaus übertragen; einen Veranstaltungsort also, der dann doch eher zur deutschen Komikpraxis paßt, bei der das Publikum mehr verlangt, als schlicht zum Lachen gebracht zu werden: Es will Läuterung, mindestens praktische Ratschläge, weswegen es zu Volker Pispers und Eckart von Hirschhausen rennt. Ein deutsches Publikum, das einen Komiker des Schlages Carr goutiert oder hervorzubringen hilft, muß, fürchte ich, erst noch gefunden werden.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg