Humorkritik | Mai 2011

Mai 2011

Roboter gegen Vorhaut

Riad Sattoufs Vater ist Syrer, seine Mutter ist Französin, und Riads Haare sind ganz unarabisch blond. Beim Wettpinkeln fällt seinen Cousins auf, daß Riads Pimmel aussieht »wie ein Rüssel« – im Gegensatz zu ihren »Champignons«. Wenig später kündigt sein Vater an, er, Riad, werde in drei Monaten beschnitten. Nun, drei Monate können eine lange Zeit sein, vor allem wenn man keine Ahnung hat, was eine Beschneidung überhaupt ist. Man kann sie sich in den schlimmsten Farben vorstellen. Man kann aber auch von einem japanischen Riesenroboter träumen, dessen Kauf man dem Vater gegenüber zur Bedingung für die Beschneidung gemacht hat. Dann kann man sich darauf freuen, endlich so zu sein wie die eigenen Cousins – und den Verdacht loswerden, man sei ein verkappter Jude.

Riad Sattouf, der einen großen Teil seiner Kindheit in Syrien verbrachte und erst nach der Scheidung seiner Eltern, fünfzehnjährig und beschnitten, nach Frankreich zurückkehrte, ist heute Hauszeichner des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo. Mit »Meine Beschneidung« (Reprodukt Verlag) erscheint erstmals ein Buch von ihm auf deutsch. Dieses autobiographische Bilderbuch, aus der Perspektive eines achtjährigen Jungen erzählt, erschien in Frankreich in einer Jugendbuchreihe, war aber auch bei Erwachsenen ein großer Erfolg und brachte Sattouf beinahe juristische Probleme ein: Wohlmeinende Organisationen wollten ihn wegen ethnischer Vorurteile, Antisemitismus und seines negativen Vaterbilds (!) vor Gericht zerren.

Tatsächlich geht »Meine Beschneidung« dahin, wo es wehtut, und doch habe ich schon lange kein vergleichbar komisches Bilderbuch gelesen. Der schmerzhafte Schnitt, der ohne Narkose und hygienische Vorsichtsmaßnahmen vollzogen wird, dient lediglich als Aufhänger für ein ziemlich böses Sittenbild der autoritären Buben- und Männergesellschaft im ländlichen Syrien: Die Frauen sind so gut wie unsichtbar, der Antisemitismus grassiert, die probate Erziehungsmethode ist die gute alte Prügelstrafe, wobei die Schüler die soliden Holzstöcke, mit denen sie verprügelt werden, selber in die Schule mitbringen müssen – und so wachsen die Jungen indoktriniert, gedrillt und unaufgeklärt zu »kleinen Barbaren« heran, wie sie der Conan-Fan Sattouf nennt. Sein Humor ist durchtrieben und bissig, er macht sein Trauma erst erträglich, ohne aber je versöhnlich zu werden.

Monate nach der Beschneidung, als sein Pimmelchen endlich wieder normal funktioniert, erfährt Riad, daß auch die Juden beschnitten sind. Sein Opfer war also völlig sinnlos. Und den Roboter kriegt er natürlich auch nicht.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt