Humorkritik | Oktober 2008
Oktober 2008

Capotes Inschrift
Im nachhinein hat das dann immer den Anschein einer völlig planvollen Angelegenheit. Als Truman Capote eines Abends im Jahre 1956 den »New Journalism« erfand, lief das also folgendermaßen ab: »Ich ging«, und wir dürfen uns den Künstler vielleicht vor einer dampfenden Ofenkartoffel mit einem ansehnlichen Häufchen Beluga-Kaviar vorstellen, »von folgender Überlegung aus: Was ist die niederste Stufe des Journalismus? Anders gefragt, welcher Dreck läßt sich am schwersten zu Gold machen? Antwort, ganz klar: Interviews mit Hollywood-Stars, dieses unerträgliche Promi-Gelaber, das man in Filmzeitschriften wie Silver Screen zu lesen kriegt. So etwas zur Kunst zu erheben, wäre eine echte Aufgabe.« Naja, und dann hat er es halt gemacht.
»Die Hunde bellen« (Kein & Aber) versammelt auf neunhundert Seiten neben hübschen und eher konventionellen Reisebildern und Porträts vor allem diese von ihm so genannten »Konversationen«, dialogreiche Reportagen, in denen Capote sein Erzähltalent ausspielen kann. Teils vor, teils nach seinem Faction-Roman »Kaltblütig« erschienen, der den New Journalism beim literarischen Publikum erst satisfaktionsfähig macht, stellen sie ein ums andere Mal die Leistungsfähigkeit des Genres unter Beweis. Ob Capote, die erklärte Tunte, mit Marilyn Monroe von der Beerdigung eines guten Freundes in die nächste Bar defiliert, sich einen antüdelt und über Männer klatscht, ob er sich eine Nacht mit Marlon Brando um die Ohren schlägt und – ohne es wirklich so böse und explizit sagen zu müssen – dessen eher durchschnittliche Intelligenz bei durchaus eingestandener schauspielerischer Genialität entlarvt; oder ob er sich seiner Putzfrau an die Fersen hängt, um mit ihr bei diversen Joints die Appartements ihrer Arbeitgeber zu inspizieren und die sich hier auftuenden Lebensentwürfe gleich mit – das alles ist spannend, elegant, aber selten preziös, also stilistisch immer nur so brillant, wie es die Situation erfordert.
Und vor allem hat es diese feine, zurückgenommene, unaufdringliche Capote-Komik: »Im vergangenen Winter ging ich einmal über einen Dorffriedhof am Meer. (Das war in der Nähe von Mendocino, ganz im Norden von Kalifornien, ziemlich rauhe Gegend, wo das Wasser zu kalt ist zum Schwimmen, es sei denn für die Wale, die dort vorbeiziehen.) Ein hübscher Friedhof, muß man sagen, mit grau-grünen, meist noch aus dem neunzehnten Jahrhundert datierenden Grabmalen. Auf allen diesen Steinen war irgendeine Inschrift zu lesen, die Auskunft gab über die persönliche Philosophie des Verstorbenen. Nur auf einem stand: KEIN KOMMENTAR.« Capote überlegt, was eines Tages auf seinem Grabstein stehen soll, und entscheidet sich dann dafür: »ICH WOLLTE DAS EIGENTLICH GAR NICHT, ABER ICH HABE DEN ABSPRUNG NICHT GESCHAFFT.«