Humorkritik | Juli 2007

Juli 2007

Buddy got the Blues

Aus dem Frankfurter Gallusviertel schreibt mir Kollege Jürgen Roth: »›Does humour belong in Blues?‹ fragt man sich, wenn der siebzigjährige Buddy Guy nach einer Dreiviertelstunde souverän verschmitzter Konzertbewältigung in der Mainz-Gonsenheimer Phönixhalle ein blueshistoriographisches Medley darbietet, in dem er seine Mentoren und Weggefährten und auch den britischen Abkupferschmied Eric Clapton derart lässig zum Narren hält, daß man den Glauben an die Musikwelt zurückgewinnt.

 

Buddy Guy, der ewig junge König des forciert elektrifizierten Chicago Blues, verdankt Muddy Waters, John Lee Hooker und womöglich B. B. King nicht wenig. Und trotzdem führt er sie vor, als sei er zum Clown geboren, der aus der Verzweiflung darüber, daß der Blues im medialen Mahlstrommainstream ein elendes marginales Dasein fristet, die funkelndsten Witze schöpft.

 

Kurzum: Ich hab’ bei keinem anderen (Rock-)Konzert derart ungebremst lachen müssen. Erst mimt Buddy Guy an der Strat den leisesten Solisten aller Zeiten (›Do you think I should play louder?‹), tupft sodann ein paar sirrend sensitive Licks hin, und dann unterbricht er seine Band, in der ein unfaßbar korpulenter Schlagzeuger unter einem zwei Meter breiten Camperhut das Sitzen hinterm Drumkit übt, um dem Auditorium eine Lektion zu erteilen.

 

›This tune you might know‹, grinst er, nimmt einen Schluck Tee – und ist plötzlich John Lee Hooker und kopiert ›Boom Boom‹ bis in die letzte Phrasierung hinein exakt, und es folgt eine B.-B.-King-Travestie, die selbst die abgegriffenen Grimassen des Good Big Ol’ Boy nobilitiert.

 

›Hoochie Coochie Man‹ gefällt dem unverschämt überzeugenden Schalk gleichfalls, danach hebt er parodierend Clapton aus den Angeln (›You don’t like that kind of stuff, don’t you?‹), und schließlich ist Jimi Hendrix dran, der Buddy Guy in London sah, bevor er jenes ›Voodoo Chile‹ ersann, das Mr. Guy nun wiederbelebt und simultan bübisch zerfleddert.

 

Nichts ist da komödiantisch ­verdorben ­gewesen. Nein, das war der seelisch rettungs­beförderndste, lustigste, heiterste Rockbluesgig, den ich in den vergangen zwei Jahrzehnten gesehen habe. Und daß im Anschluß an Mr. Buddy Blues obendrein Jeff Beck als Eugen-Egner-Double einen anbetungserzwingenden Auftritt hinbretterte, in dessen Verlauf der Allergrößte die Wucht des ›Schönlärms‹ (Egner) mit der onomatopoetischen Zier des Saiten- und Strathexers verzwirbelte – das, achgottachgott, läßt mich nur mehr ächzen: Man möge den ausdauernd omnilateralen Rotz namens Radiomusik einäschern und -stampfen. Und endlich vergessen.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner